Page - 235 - in Radetzkymarsch
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unbekümmert, als stünde er mitten im Kasernenhof. Sein ganzes, breites
Angesicht leuchtete wie eine Sonne. Trotta sah ihn lange an, Zärtlichkeit im
Herzen und Strenge im Blick. »Ich werde dich einsperren, bis du schwarz
wirst!« sagte der Mund des Leutnants, dem Diktat gehorchend, das ihm sein
militärisches Hirn befahl. »Komm ins Zimmer!« sagte Trotta und stand auf.
Der Leutnant ging die Treppe hinauf. Genau drei Stufen hinter ihm folgte
Onufrij. Sie standen im Zimmer. Onufrij, immer noch mit sonnigem
Angesicht, meldete: »Herr Leutnant, hier ist Geld!«, und er zog aus Hosen-
und Blusentasche alles, was er besaß, trat näher und legte es auf den Tisch.
An dem dunkelroten Taschentuch, das die zwanzig goldenen Zehn-Kronen-
Dukaten so lange unter der Erde geborgen hatte, klebten noch silbergraue
Schlammstückchen. Neben dem Taschentuch lagen die blauen Geldscheine.
Trotta zählte sie. Dann knüpfte er das Tuch auf. Er zählte die Goldstücke.
Dann legte er die Scheine zu den Goldstücken in das Tuch, schlang den
Knoten wieder zusammen und gab Onufrij das Bündel zurück.
»Ich darf leider kein Geld von dir nehmen, verstehst du?« sagte Trotta.
»Das Reglement verbietet es, verstehst du? Wenn ich das Geld von dir nehme,
werde ich aus der Armee entlassen und degradiert, verstehst du?«
Onufrij nickte.
Der Leutnant stand da, das Bündel in der erhobenen Hand. Onufrij nickte
fortwährend mit dem Kopf. Er streckte die Hand aus und ergriff das Bündel.
Es schwankte eine Weile in der Luft.
»Abtreten!« sagte Trotta, und Onufrij ging mit dem Bündel.
Der Leutnant erinnerte sich an jene Herbstnacht in der Kavalleriegarnison,
in der er hinter seinem Rücken Onufrijs stampfenden Schritt vernommen
hatte. Und er dachte an die Militärhumoresken, die er in schmalen,
grüngebundenen Bändchen in der Bibliothek des Spitals gelesen hatte. Dort
wimmelte es von rührenden Offiziersburschen, ungeschlachten Bauernjungen
mit goldenen Herzen. Und obwohl Leutnant Trotta keinerlei literarischen
Geschmack besaß und obwohl ihm, wenn er zufällig einmal das Wort
Literatur hörte, lediglich das Drama »Zriny« von Theodor Körner einfiel und
gar nichts mehr, hatte er doch immer einen dumpfen Widerwillen gegen die
wehmütige Sanftheit jener Büchlein und gegen ihre goldenen Gestalten
empfunden. Er war nicht erfahren genug, der Leutnant Trotta, um zu wissen,
daß es auch in der Wirklichkeit ungeschlachte Bauernburschen mit edlen
Herzen gab und daß viel Wahres aus der lebendigen Welt in schlechten
Büchern abgeschrieben wurde; nur eben schlecht abgeschrieben.
Er hatte überhaupt noch wenig erfahren, der Leutnant Trotta.
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Radetzkymarsch
- Title
- Radetzkymarsch
- Author
- Joseph Roth
- Date
- 1932
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 294
- Keywords
- Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
- Categories
- Weiteres Belletristik