Page - 259 - in Radetzkymarsch
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hierauf trat er heraus, nahm einen Brief von der Ordonnanz entgegen und
kehrte ins Haus zurück. Im rundlichen Vorraum, in dem es keine
Deckenbeleuchtung gab, blieb er stehen. Ein Diener trat hinter seinen Rücken,
den Armleuchter in der Hand. Der Oberst riß den Umschlag auf. Der Diener,
obgleich seit seiner frühesten Jugend in der großen Kunst des Dienens
erzogen, konnte dennoch nicht seine plötzlich zitternde Hand beherrschen.
Die Kerzen, die er hielt, begannen heftig zu flackern. Ohne daß er etwa
versucht hätte, über die Schulter des Obersten zu lesen, fiel der Text des
Schreibens in das Blickfeld seiner wohlerzogenen Augen, ein einziger Satz
aus übergroßen, mit blauem Kopierstift sehr deutlich geschriebenen Worten.
Ebensowenig wie er etwa vermocht hätte, hinter geschlossenen Lidern einen
der Blitze nicht zu fühlen, die jetzt in immer schnellerer Folge in allen
Richtungen des Himmels aufzuckten, ebensowenig wäre es ihm auch möglich
gewesen, seinen Blick von der furchtbaren, großen, blauen Schrift
abzuwenden: »Thronfolger gerüchtweise in Sarajevo ermordet«, sagten die
Buchstaben.
Die Worte fielen wie ein einziges, ohne Pause, in das Bewußtsein des
Obersten und in die Augen des hinter ihm stehenden Dieners. Der Oberst ließ
den Umschlag fallen. Der Diener, den Leuchter in der Linken, bückte sich,
um ihn mit der Rechten aufzuheben. Als er wieder aufrecht stand, sah er
geradewegs in das Angesicht des Obersten Festetics, der sich ihm zugewandt
hatte. Der Diener trat einen Schritt zurück. Er hielt den Leuchter in der einen,
den Umschlag in der anderen Hand, und seine beiden Hände zitterten. Der
Schein der Kerzen flackerte über das Angesicht des Obersten und erhellte und
verdunkelte es abwechselnd. Das gewöhnliche, gerötete, von einem großen,
graublonden Schnurrbart gezierte Angesicht des Obersten wurde bald violett,
bald kreideweiß. Die Lippen bebten ein wenig, und der Schnurrbart zuckte.
Außer dem Diener und dem Obersten war kein Mensch in der Vorhalle. Aus
dem Innern des Hauses hörte man schon den ersten gedämpften Walzer der
beiden Militärkapellen, Klirren von Gläsern und das Gemurmel der Stimmen.
Durch die Tür, die zum Vorplatz führte, sah man den Widerschein ferner
Blitze, hörte man den schwachen Widerhall ferner Donner. Der Oberst sah
den Diener an. »Haben Sie gelesen?« fragte er. »Jawohl, Herr Oberst!«
»Mund halten!« sagte Festetics und legte den Zeigefinger an die Lippen. Er
entfernte sich. Er schwankte ein wenig. Vielleicht war es das flackernde
Kerzenlicht, in dem sein Gang unsicher erschien.
Der Diener, neugierig und durch das Schweigegebot des Obersten ebenso
erregt wie durch die blutige Nachricht, die er soeben wahrgenommen hatte,
wartete auf einen seiner Kollegen, um diesem seinen Dienst und den Leuchter
zu übergeben, in die Zimmer zu gehen und dort vielleicht Näheres zu
erfahren. Auch war es ihm, obwohl er ein aufgeklärter, vernünftiger Mann in
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Radetzkymarsch
- Title
- Radetzkymarsch
- Author
- Joseph Roth
- Date
- 1932
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 294
- Keywords
- Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
- Categories
- Weiteres Belletristik