Page - 275 - in Radetzkymarsch
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Silbermünzen, wenn er in die Stadt kam, am Donnerstag, zum
Schweinemarkt, um Sattel, Kummet, Joch und Sensen einzukaufen,
Schleifsteine, Sicheln, Harken und Samen. Wenn er zufällig einen Offizier
vorbeigehen sah, senkte er den Kopf. Es war eine überflüssige Vorsicht. Sein
Schnurrbart wuchs und wucherte, seine Bartstoppeln starrten hart, schwarz
und dicht an seinen Wangen, man konnte ihn kaum erkennen. Schon bereitete
man sich allenthalben für die Ernte vor, die Bauern standen vor den Hütten
und schliffen die Sensen an den runden, ziegelroten Steinen. Überall im Land
sirrte der Stahl an den Steinen und übertönte den Gesang der Grillen. In der
Nacht hörte der Leutnant manchmal Musik und Lärm aus dem »neuen
Schloß« Chojnickis. Er nahm diese Stimmen in seinen Schlaf hinüber wie das
nächtliche Krähen der Hähne und das Gebell der Hunde bei Vollmond. Er war
endlich zufrieden, einsam und still. Es war, als hätte er niemals ein anderes
Leben geführt. Wenn er nicht schlafen konnte, erhob er sich, ergriff den
Stock, ging durch die Felder, mitten durch den vielstimmigen Chor der Nacht,
erwartete den Morgen, begrüßte die rote Sonne, atmete den Tau und den
sachten Gesang des Windes, der den Tag verkündet. Er war frisch wie nach
durchschlafenen Nächten.
Jeden Nachmittag ging er durch die angrenzenden Dörfer. »Gelobt sei Jesus
Christus!« sagten die Bauern. »In Ewigkeit. Amen!« erwiderte Trotta. Er ging
wie sie, die Knie geknickt. So waren die Bauern von Sipolje gegangen.
Eines Tages kam er durch das Dorf Burdlaki. Der winzige Kirchturm stand,
ein Finger des Dorfes, gegen den blauen Himmel. Es war ein stiller
Nachmittag. Die Hähne krähten schläfrig. Die Mücken tänzelten und
summten die ganze Dorfstraße entlang. Plötzlich trat ein vollbärtiger,
schwarzer Bauer aus seiner Hütte, stellte sich mitten in den Weg und grüßte:
»Gelobt sei Jesus Christus!«
»In Ewigkeit. Amen!« sagte Trotta und wollte weitergehen.
»Herr Leutnant, hier ist Onufrij!« sagte der bärtige Bauer. Der Bart
umhüllte sein Angesicht, ein gespreizter, schwarzer, dichtgefiederter Fächer.
»Warum bist du desertiert?« sagte Trotta. »Bin nur nach Hause gegangen!«
sagte Onufrij. Es hatte keinen Sinn, so törichte Fragen zu stellen. Man
verstand Onufrij gut. Er hatte dem Leutnant gedient wie der Leutnant dem
Kaiser. Es gab kein Vaterland mehr. Es zerbrach, es zersplitterte. »Hast du
keine Angst?« fragte Trotta. Onufrij hatte keine Angst. Er wohnte bei seiner
Schwester. Die Gendarmen gingen jede Woche durchs Dorf, ohne sich
umzusehen. Es waren übrigens Ukrainer, Bauern wie Onufrij selbst. Wenn
man beim Wachtmeister keine schriftliche Anzeige erstattete, brauchte er sich
um nichts zu kümmern. In Burdlaki erstattete man keine Anzeigen.
»Leb wohl, Onufrij!« sagte Trotta. Er ging die gebogene Straße hinauf, die
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Radetzkymarsch
- Title
- Radetzkymarsch
- Author
- Joseph Roth
- Date
- 1932
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 294
- Keywords
- Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
- Categories
- Weiteres Belletristik