Page - 280 - in Radetzkymarsch
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Wehklagen um jene unter ihnen, die Soldaten waren und morgen schon
einrücken mußten. Sie gaben sich die Hände, sie küßten sich auf die Backen,
und wo zwei sich umarmten, vereinigten sich ihre roten Bärte wie zu einem
besonderen Abschied, und die Männer mußten mit den Händen die Bärte
voneinander trennen. Über den Köpfen schlugen die Glocken. Zwischen ihren
Gesang und die Rufe der Juden fielen die schneidenden Stimmen der
Trompeten aus den Kasernen. Man blies den Zapfenstreich, den letzten
Zapfenstreich. Schon war die Nacht gekommen. Man sah keinen Stern. Trüb,
niedrig und flach hing der Himmel über dem Städtchen!
Trotta kehrte um. Er suchte nach einem Wagen, es gab keinen. Er ging mit
schnellen, großen Schritten zu Chojnicki. Das Tor stand offen, alle Zimmer
waren erleuchtet wie bei den »großen Festen«. Chojnicki kam ihm im
Vorraum entgegen, in Uniform, mit Helm und Patronentäschchen. Er ließ
einspannen. Er hatte drei Meilen bis zu seiner Garnison, er wollte in der
Nacht fort. »Wart einen Augenblick!« sagte er. Er sagte zum erstenmal du zu
Trotta, vielleicht aus Unachtsamkeit, vielleicht, weil er schon in Uniform war.
»Ich fahr’ dich noch vorbei und dann in die Stadt.«
Sie fuhren vor Stepaniuks Häuschen. Chojnicki setzt sich. Er sieht zu, wie
Trotta sein Zivil ablegt und die Uniform anzieht. Stück für Stück. So hat er
vor einigen Wochen erst – aber lang ist es her! – in Brodnitzers Hotel
zugesehen, wie Trotta seine Uniform ausgezogen hatte. Trotta kehrte in seine
Montur zurück, in seine Heimat. Er zieht den Säbel aus dem Futteral. Er
schnallt die Feldbinde um, die riesigen, schwarz-gelben Quasten streicheln
zärtlich das schimmernde Metall des Säbels. Jetzt schließt Trotta den Koffer.
Sie haben nur wenig Zeit, Abschied zu nehmen. Sie halten vor der Kaserne
der Jäger. »Adieu!« sagt Trotta. Sie drücken sich die Hand sehr lange, die Zeit
vergeht fast hörbar hinter dem breiten, unbeweglichen Rücken des Kutschers.
Es ist, als wäre es nicht genug, die Hände zu drücken. Sie fühlen, daß man
mehr tun müßte. »Bei uns küßt man sich«, sagt Chojnicki. Sie umarmen sich
also und küssen sich schnell. Trotta steigt ab. Der Posten vor der Kaserne
salutiert. Die Pferde ziehen an. Hinter Trotta fällt das Tor der Kaserne zu. Er
steht noch einen Augenblick und hört den Wagen Chojnickis wegfahren.
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Radetzkymarsch
- Title
- Radetzkymarsch
- Author
- Joseph Roth
- Date
- 1932
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 294
- Keywords
- Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
- Categories
- Weiteres Belletristik