Page - 284 - in Radetzkymarsch
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Der Durst wurde stärker. Der Mittag kam. Sie hörten Schüsse und legten
sich flach auf die Erde. Der Feind hatte sie wahrscheinlich schon überholt. Sie
schlängelten sich weiter, auf die Erde gedrückt. Bald begann, sie sahen es
bereits, der Weg breiter zu werden. Schon leuchtete eine verlassene
Bahnstation. Hier fingen die Schienen an. Im Laufschritt erreichte das
Bataillon die Station, hier war man sicher; ein paar Kilometer weit war man
zu beiden Seiten von den Bahndämmen gedeckt. Der Feind, vielleicht eine
dahingaloppierende Sotnia Kosaken, mochte sich jenseits des Dammes auf
gleicher Höhe befinden. Still und gedrückt marschierten sie zwischen den
Bahndämmen. Plötzlich rief einer: »Wasser!« Und im nächsten Augenblick
hatten alle auch schon den Brunnen auf dem Grat des Bahndammes neben
einem Wächterhäuschen erblickt. »Hierbleiben!« kommandierte Major
Zoglauer.
»Hierbleiben!« wiederholten die Offiziere. Die durstigen Männer aber
waren nicht zu halten. Einzeln zuerst, dann in Gruppen, liefen die Männer den
Abhang hinan; Schüsse knallten, und die Männer fielen. Die feindlichen
Reiter jenseits des Bahndammes schossen auf die durstigen Männer, und
immer mehr durstige Männer liefen dem tödlichen Brunnen entgegen. Und als
sich der zweite Zug der zweiten Kompanie dem Brunnen näherte, lag schon
ein Dutzend Leichen auf dem grünen Abhang.
»Zug halt!« kommandierte Leutnant Trotta. Er trat seitwärts und sagte:
»Ich werde euch Wasser bringen! Daß keiner sich rührt! Hier warten! Eimer
her!« Man brachte ihm zwei Eimer aus wasserdichtem Leinen von der
Maschinengewehrabteilung. Er nahm beide, je einen Eimer in jede Hand. Und
er ging den Abhang hinauf, dem Brunnen zu. Die Kugeln umpfiffen ihn,
fielen vor seinen Füßen nieder, flogen an seinen Ohren vorbei und an seinen
Beinen und über seinen Kopf hinweg. Er beugte sich über den Brunnen. Er
sah auf der anderen Seite, jenseits des Abhangs, die zwei Reihen der
zielenden Kosaken. Er hatte keine Angst. Es fiel ihm nicht ein, daß er
getroffen werden könnte wie die anderen. Er hörte schon die Schüsse, die
noch nicht gefallen waren, und gleichzeitig die ersten trommelnden Takte des
Radetzkymarsches. Er stand auf dem Balkon des väterlichen Hauses. Unten
spielte die Militärkapelle. Jetzt hob Nechwal den schwarzen Taktstock aus
Ebenholz mit dem silbernen Knauf. Jetzt senkte Trotta den zweiten Eimer in
den Brunnen. Jetzt schmetterten die Tschinellen. Jetzt hob er den Eimer hoch.
In jeder Hand einen vollen, überquellenden Eimer, von den Kugeln umsaust,
setzte er den linken Fuß an, um hinabzugehen. Jetzt tat er zwei Schritte. Jetzt
ragte gerade noch sein Kopf über den Rand des Abhangs.
Jetzt schlug eine Kugel an seinen Schädel. Er machte noch einen Schritt
und fiel nieder. Die vollen Eimer wankten, stürzten und ergossen sich über
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Radetzkymarsch
- Title
- Radetzkymarsch
- Author
- Joseph Roth
- Date
- 1932
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 294
- Keywords
- Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
- Categories
- Weiteres Belletristik