Page - 285 - in Radetzkymarsch
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ihn. Warmes Blut rann aus seinem Kopf auf die kühle Erde des Abhangs. Von
unten her riefen die ukrainischen Bauern seines Zuges im Chor: »Gelobt sei
Jesus Christus!«
In Ewigkeit. Amen! wollte er sagen. Es waren die einzigen ruthenischen
Worte, die er sprechen konnte. Aber seine Lippen rührten sich nicht mehr.
Sein Mund blieb offen. Seine weißen Zähne starrten gegen den blauen
Herbsthimmel. Seine Zunge wurde langsam blau, er fühlte seinen Körper kalt
werden. Dann starb er.
Das war das Ende des Leutnants Carl Joseph, Freiherrn von Trotta. So
einfach und zur Behandlung in Lesebüchern für die kaiser- und königlichen
österreichischen Volks- und Bürgerschulen ungeeignet war das Ende des
Enkels des Helden von Solferino. Der Leutnant Trotta starb nicht mit der
Waffe, sondern mit zwei Wassereimern in der Hand. Major Zoglauer schrieb
an den Bezirkshauptmann. Der alte Trotta las den Brief ein paarmal und ließ
die Hände sinken. Der Brief fiel ihm aus der Hand und flatterte auf den
rötlichen Teppich. Herr von Trotta nahm den Zwicker nicht ab. Der Kopf
zitterte, und der wacklige Zwicker flatterte mit seinen ovalen Scheibchen wie
ein gläserner Schmetterling auf der Nase des Alten. Zwei schwere, kristallene
Tränen tropften gleichzeitig aus den Augen Herrn von Trottas, trübten die
Gläser des Zwickers und rannen weiter in den Backenbart. Der ganze Körper
Herrn von Trottas blieb ruhig, nur sein Kopf wackelte von hinten nach vorn
und von links nach rechts, und fortwährend flatterten die gläsernen Flügel des
Zwickers. Eine Stunde oder länger saß der Bezirkshauptmann so vor dem
Schreibtisch. Dann stand er auf und ging mit seinem gewöhnlichen Gang in
die Wohnung. Er holte aus dem Kasten den schwarzen Anzug, die schwarze
Krawatte und die Trauerschleifen aus schwarzem Krepp, die er nach dem
Tode des Vaters um Hut und Arm getragen hatte. Er kleidete sich um. Er sah
dabei nicht in den Spiegel. Immer noch wackelte sein Kopf. Er bemühte sich
zwar, den unruhigen Schädel zu zähmen. Aber je mehr sich der
Bezirkshauptmann anstrengte, desto stärker zitterte der Kopf. Der Zwicker
saß immer noch auf der Nase und flatterte. Endlich gab der
Bezirkshauptmann alle Bemühungen auf und ließ den Schädel wackeln. Er
ging, im schwarzen Anzug, das schwarze Trauerband um den Ärmel, zu
Fräulein Hirschwitz ins Zimmer, blieb an der Tür stehen und sagte: »Mein
Sohn ist tot, Gnädigste!« Er schloß schnell die Tür, ging ins Amt, von einer
Kanzlei zur andern, steckte nur den wackelnden Kopf durch die Türen und
verkündete überall: »Mein Sohn ist tot, Herr Soundso! Mein Sohn ist tot, Herr
Soundso!« Dann nahm er Hut und Stock und ging auf die Straße. Alle Leute
grüßten ihn und betrachteten verwundert seinen wackelnden Kopf. Den und
jenen hielt der Bezirkshauptmann an und sagte: »Mein Sohn ist tot!« Und er
wartete nicht die Beileidssprüche der Bestürzten ab, sondern ging weiter, zu
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book Radetzkymarsch"
Radetzkymarsch
- Title
- Radetzkymarsch
- Author
- Joseph Roth
- Date
- 1932
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 294
- Keywords
- Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
- Categories
- Weiteres Belletristik