Page - 294 - in Radetzkymarsch
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Trottas, beugte sich gegen die Brust des Bezirkshauptmanns, atmete tief und
schloß die Augen des Toten.
Es war der Tag, an dem man den Kaiser in die Kapuzinergruft versenkte.
Drei Tage später ließ man die Leiche Herrn von Trottas ins Grab hinunter. Der
Bürgermeister der Stadt W. hielt eine Rede. Auch seine Grabrede begann, wie
alle Reden jener Zeit überhaupt, mit dem Krieg. Weiter sagte der
Bürgermeister, daß der Bezirkshauptmann seinen einzigen Sohn dem Kaiser
gegeben und trotzdem weiter gelebt und gedient hatte. Indessen rann der
unermüdliche Regen über alle entblößten Häupter der um das Grab
Versammelten, und es rauschte und raschelte ringsum von den nassen
Sträuchern, Kränzen und Blumen. Doktor Skowronnek, in der ihm
ungewohnten Uniform eines Landsturmoberarztes, bemühte sich, eine sehr
militärische Habt-acht-Stellung einzunehmen, obwohl er sie keineswegs für
einen maßgeblichen Ausdruck der Pietät hielt. – Zivilist, der er war. Der Tod
ist schließlich kein Generalstabsarzt! dachte der Doktor Skowronnek. Dann
trat er als einer der ersten an das Grab. Er verschmähte den Spaten, den ihm
ein Totengräber hinhielt, sondern er bückte sich und brach eine Scholle aus
der nassen Erde und zerkrümelte sie in der Linken und warf mit der Rechten
die einzelnen Krumen auf den Sarg. Dann trat er zurück. Es fiel ihm ein, daß
jetzt Nachmittag war, die Stunde des Schachspiels nahte heran. Nun hatte er
keinen Partner mehr; er beschloß dennoch, ins Kaffeehaus zu gehn.
Als sie den Friedhof verließen, lud ihn der Bürgermeister in den Wagen.
Doktor Skowronnek stieg ein. »Ich hätte noch gern erwähnt«, sagte der
Bürgermeister, »daß Herr von Trotta den Kaiser nicht überleben konnte.
Glauben Sie nicht, Herr Doktor?« »Ich weiß nicht«, erwiderte der Doktor
Skowronnek, »ich glaube, sie konnten beide Österreich nicht überleben.«
Vor dem Kaffeehaus ließ Doktor Skowronnek den Wagen halten. Er ging,
wie jeden Tag, an den gewohnten Tisch. Das Schachbrett stand da, als ob der
Bezirkshauptmann nicht gestorben wäre. Der Kellner kam, um es
wegzuräumen, aber Skowronnek sagte: »Lassen Sie nur!« Und er spielte mit
sich selbst eine Partie, schmunzelnd, von Zeit zu Zeit auf den leeren Sessel
gegenüber blickend und in den Ohren das sanfte Geräusch des herbstlichen
Regens, der noch immer unermüdlich gegen die Scheiben rann.
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Radetzkymarsch
- Title
- Radetzkymarsch
- Author
- Joseph Roth
- Date
- 1932
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 294
- Keywords
- Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
- Categories
- Weiteres Belletristik