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4Kapitel
Drei Tage, drei Nächte genoß Theodor sein Geld. Es nahm ihm die
Besinnung, zu wählen und sich mit Bedacht zu freuen. Er beschlief Mädchen
von der Straße und kostspieligere, die in den Lokalen warteten. Er trank
Wein, der ihm nicht schmeckte, und süße Liköre, die ihm Qual verursachten
und deren widerlichen Geschmack er durch Kognak loszuwerden versuchte.
Er schlief in schmutzigen Gasthöfen und entdeckte spät, daß er für die gleiche
Summe alle paradiesischen Genüsse eines großen Hotels hätte kaufen können.
Er ging einmal in die Gesellschaft seiner Kameraden, zahlte ihnen ein paar
Runden und wurde ausgelacht. Jedes neue Mißlingen einer verschwenderisch
unternommenen Freude stachelte seinen Ehrgeiz auf, und nur aus Angst vor
dem angedrohten Tode hielt er in der Berauschtheit mit seinem Geheimnis
zurück und dämmte krampfhaft das Wort hinter widerstrebenden Lippen: ich,
Theodor Lohse, bin Mitglied einer geheimen Organisation.
Wie würden sie ihn bewundern, wenn sie es wüßten! Aber fast so köstlich,
wie das Bewundertsein gewesen wäre, war das Geheimnis, in dem er lebte,
und das Inkognito. Er war im Begriff, an den unsichtbaren Fäden zu ziehen,
an denen, wie er aus den Zeitungen wußte, Minister, Behörden, Staatsmänner,
Abgeordnete hingen. Und er trug immer noch das unscheinbare Gewand eines
Rechtshörers und Hauslehrers. Er ging an einem Polizisten vorbei und wurde
nicht erkannt. Niemand sah ihm seine Gefährlichkeit an. Manchmal gefiel es
ihm, seine Verborgenheit zu verstärken, und er trat für einige Minuten in
einen dunklen Hausflur und bildete sich ein, jemanden zu beobachten, ohne
selbst bemerkt zu werden. Er bereitete sich auf seinen Beruf vor, indem er
eine eingebildete Aufgabe ausführte. Er trat in irgendein Ministerium und
fragte den Portier nach einem beliebigen Namen, er las die Liste der Beamten
über die Schulter des suchenden Portiers und ging zufrieden davon. Er begann
sich um Dinge zu kümmern, die ihn niemals interessiert hatten. Er kaufte
revolutionäre Blätter, er ging, um ein gleichgültiges Inserat aufzugeben, in die
Redaktion der »Roten Fahne« und stellte fest, daß sie leicht zu erobern war.
Man sollte mit ihm zufrieden sein. Er würde – fiel ihm eine Aufgabe zu –
über wichtige Dinge schon orientiert sein.
Mit jenem hitzigen Fleiß, mit dem er einmal freiwillig seinen Einzug in die
Kaserne gehalten hatte, machte er sich an noch nicht erhaltene Aufträge, nicht
verlangte Arbeiten. Freilich war es beim Regiment leichter, weil
übersichtlicher. Man kannte den Zimmerkommandanten genau, den
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Das Spinnennetz
- Title
- Das Spinnennetz
- Author
- Joseph Roth
- Date
- 1923
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 93
- Keywords
- Roman, Geschichte
- Categories
- Weiteres Belletristik
Table of contents
- Kapitel 1 5
- Kapitel 2 10
- Kapitel 3 14
- Kapitel 4 17
- Kapitel 5 21
- Kapitel 6 24
- Kapitel 7 30
- Kapitel 8 32
- Kapitel 9 36
- Kapitel 10 39
- Kapitel 11 42
- Kapitel 12 44
- Kapitel 13 47
- Kapitel 14 50
- Kapitel 15 52
- Kapitel 16 54
- Kapitel 17 57
- Kapitel 18 59
- Kapitel 19 61
- Kapitel 20 64
- Kapitel 21 67
- Kapitel 22 69
- Kapitel 23 73
- Kapitel 24 76
- Kapitel 25 79
- Kapitel 26 81
- Kapitel 27 83
- Kapitel 28 86
- Kapitel 29 89
- Kapitel 30 92