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Kapitel
Zum erstenmal ging Benjamin Lenz zu einer Trauung. Er ging nicht, er glitt
im Auto vor das Portal der Kirche, er trug zum erstenmal Zylinder und Frack,
und später saß er an einem Tisch mit Offizieren und alten Damen und trank
Wein, den er selbst gekauft hatte.
Es war eine großartige Hochzeit. Theodor trug Paradeuniform. Kameraden
in Paradeuniformen glänzten, klingelten, rasselten. Aus den Potsdamer
Fenstern sahen die Leute, vor der Kirche standen sie, trotz der Kälte.
Der Oberst hielt eine Rede, auch Major Lübbe sprach und erwähnte einmal
den Grafen Zeppelin, nur aus Gewohnheit, ohne besondere Notwendigkeit.
Elsa drängte Theodor zur Dankrede, aufstehen mußte er und sprechen, und es
verwirrte ihn der schräg zu ihm aufsteigende Blick seiner Braut. Eine große
Liebe für alle Anwesenden überflutete sein Herz, ein paarmal stand er auf, um
Benjamin Lenz die Hand zu drücken, der ihm gegenüber saß.
Benjamin freute sich. Das war die europäische Hochzeit. An seiner Seite
saß die Majorswitwe Strubbe und erzählte von Kattowitz, wo sie ihre
schönsten Jahre verlebt hatte. Benjamin hörte nicht, Benjamins tiefer Blick
verglomm irgendwo im Weiten, er dachte an Lodz, an die schmutzige
Barbierstube seines Vaters und sah den einzigen, blindgewordenen Spiegel im
Laden. Wie einfach und weise waren die Reden alter Juden in Lodz, wie
treffend ihr Witz, maßvoll ihr Gelächter, schmackhaft ihre Speisen, die
Speisen der verachteten, geschlagenen, in Barbarei lebenden Juden, die keine
Helme trugen und nicht glänzen und nicht scheppern konnten.
Das war die europäische Hochzeit, hier heiratete einer, der ohne Sinn
getötet, ohne Geist gearbeitet hatte, und er wird Söhne zeugen, die wieder
töten, Europäer, Mörder sein werden, blutrünstig und feige, kriegerisch und
national, blutige Kirchenbesucher, Gläubige des europäischen Gottes, der
Politik lenkte.
Kinder wird Theodor zeugen, buntbebänderte Studenten, Schulen werden
sie bevölkern und Kasernen. Und Benjamin sah den Stamm der Lohse. Es gab
Arbeit. Sie werden einander morden.
Und Benjamin lauschte den Telegrammen, die Major Lübbe vorlas.
Glückwünsche kamen von Pisk, von anderen Journalisten, vom Minister
Hilper und von Geheimräten, und auch von Efrussi. Dann machte Major
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Das Spinnennetz
- Title
- Das Spinnennetz
- Author
- Joseph Roth
- Date
- 1923
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 93
- Keywords
- Roman, Geschichte
- Categories
- Weiteres Belletristik
Table of contents
- Kapitel 1 5
- Kapitel 2 10
- Kapitel 3 14
- Kapitel 4 17
- Kapitel 5 21
- Kapitel 6 24
- Kapitel 7 30
- Kapitel 8 32
- Kapitel 9 36
- Kapitel 10 39
- Kapitel 11 42
- Kapitel 12 44
- Kapitel 13 47
- Kapitel 14 50
- Kapitel 15 52
- Kapitel 16 54
- Kapitel 17 57
- Kapitel 18 59
- Kapitel 19 61
- Kapitel 20 64
- Kapitel 21 67
- Kapitel 22 69
- Kapitel 23 73
- Kapitel 24 76
- Kapitel 25 79
- Kapitel 26 81
- Kapitel 27 83
- Kapitel 28 86
- Kapitel 29 89
- Kapitel 30 92