Page - 54 - in Das Spinnennetz
Image of the Page - 54 -
Text of the Page - 54 -
16
Kapitel
Sie saßen, drei Männer, im Café auf dem Potsdamer Platz. Zwischen ihnen
flogen gleichgültige Worte, Mißtrauen würgte in ihren Hälsen, Angst lähmte
ihre Zungen. An einem Nebentisch saß Benjamin Lenz.
Theodor bereute. Es war zu spät. Er hatte nicht geahnt, wie schwer es ihm
kommen würde. Niemand half ihm. Er sollte anfangen. Es war, als weidete
man sich an seiner Qual.
Und es ist genauso wie einmal – lang war es her – in der Schule, wenn er
anderes sagen soll als auswendig Gelerntes. Es war Lärm im Café, an den
Nebentischen summte das Gespräch der Gäste, Tassen klirrten, und dennoch
schlug ihm eine Stille entgegen, als beherrschte das Warten alle Menschen.
Erst als sie durch die Straßen gingen, gewann er sich wieder. Er ging
zwischen zwei kleinen schwarzen Männern, die sich jedes Wort einprägten.
Er verstellte sich nicht. Wozu brauchte er Verstellung? Er konnte immer
ableugnen; aufrichtiges Geständnis für erheucheltes ausgeben. Seine wahren
Gründe klangen überzeugend.
Er erzählte von seiner Unzufriedenheit; schilderte das Mißtrauen, das ihn
umgab; gestand, daß ihn Ehrgeiz trieb.
Er lüftete später, in einem Büro, Zipfel von Geheimnissen.
Es war spät, als er schied, er fuhr nach Potsdam, las ein Abendblatt. Als er
aufblickte, sah er Benjamin Lenz. Er saß Theodor gegenüber.
Sie gingen durch den Potsdamer Abend, durch alte Gäßchen, die ganz
unwahrscheinlich aussahen, und Benjamin führte, und Theodor wußte nicht,
daß er geführt wurde. Vom 2. November sprach Benjamin Lenz, er glaubte
nicht an Revolutionen. Er glaubte an ein kleines Blutbad, kaum der Sorgen
wert, in Deutschland nicht selten und eigentlich jede Woche wahrscheinlich.
Vielleicht sprach er diesmal aufrichtig, Benjamin Lenz?
Es war ein wehmütiger Abend, mit violetten und gelb schimmernden
Wolken, mit einem zahmen, behutsamen Abendwind, und Theodor ging,
durch raschelndes Laub, die Straße, die zum Bahnhof führte, entlang und
fühlte eine Rührung, wie damals in den Feldern des Herrn v. Köckwitz.
Und eine Wärme kam von Benjamin Lenz, so daß Theodor zu sprechen
54
back to the
book Das Spinnennetz"
Das Spinnennetz
- Title
- Das Spinnennetz
- Author
- Joseph Roth
- Date
- 1923
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 93
- Keywords
- Roman, Geschichte
- Categories
- Weiteres Belletristik
Table of contents
- Kapitel 1 5
- Kapitel 2 10
- Kapitel 3 14
- Kapitel 4 17
- Kapitel 5 21
- Kapitel 6 24
- Kapitel 7 30
- Kapitel 8 32
- Kapitel 9 36
- Kapitel 10 39
- Kapitel 11 42
- Kapitel 12 44
- Kapitel 13 47
- Kapitel 14 50
- Kapitel 15 52
- Kapitel 16 54
- Kapitel 17 57
- Kapitel 18 59
- Kapitel 19 61
- Kapitel 20 64
- Kapitel 21 67
- Kapitel 22 69
- Kapitel 23 73
- Kapitel 24 76
- Kapitel 25 79
- Kapitel 26 81
- Kapitel 27 83
- Kapitel 28 86
- Kapitel 29 89
- Kapitel 30 92