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11
Kapitel
Theodor hörte das rote Blut, es schrie, es brüllte, wie aus tausend Kehlen, es
flammte, wie tausend Feuersbrünste, purpurne Räder kreisten in der Luft,
purpurne Kugeln rollten auf und nieder. Aus seinem Innern kam das
rauschende Rot, es erfüllte ihn und machte ihn leicht, ein roter Jubel kam über
ihn, ein Triumph hob ihn empor.
Aber wehmütig war er in den Abendstunden, wenn die Fledermäuse zu
flattern begannen und die Frösche quakten, das Wispern der Grillen
unablässiger und eindringlicher wurde und eine Magd bei der letzten Arbeit
des Tages sang. Gerührt, mit einer schluchzenden Seele, betrachtete er den
abendlich geröteten Himmel, und er pfiff wehmütige Lieder. Ihm war wie in
der Kaiser-Wilhelm-Diele, wenn die Musik das Lied vom schwarzbraunen
Mägdlein spielte.
Er gewann seinen Glauben an die Sache wieder, der er diente, wenn der
alte Freiherr traurig wurde und von deutschen Landen zu reden begann, die
den Polacken anheimgefallen. Irgendwo hörte Theodor Hörner blasen, einer
Kriegstrompete aufschreckenden und sterbebangen Ruf. Er war mitten im
Krieg, er kämpfte und stritt, er verteidigte heilige Erde, und er war bereit, sein
Blut zu verspritzen, wenn der alte Freiherr das Wort »Scholle« sagte. Er
sprach ein langes, sehnsüchtig klingendes O und ein hartes ostpreußisches L,
er holte Atem, ehe er die erste Silbe aussprach, und stieß ihn bei der zweiten
Silbe aus mit einem Seufzer. Theodor sah manchmal in dem alten Freiherrn
das Bild eines der letzten deutschen Adeligen, denen in der neuen Zeit der
Untergang drohte.
So war es nicht immer. Wenn es regnete und Theodor in der Bibliothek des
Freiherrn saß, las er Romane in der »Woche«, betrachtete in Zeitschriften
Photographien großer Männer, wurde nüchtern, wie er immer gewesen, und
den Freiherrn sah er nicht mehr begeistert, sondern als einen alten, mit
kleinen Lächerlichkeiten behafteten Mann, wie ihn alle sahen; mit
verzeihendem Verständnis allerdings und einer Dankbarkeit, die er dem
Hause für eine über die üblichen Maße und ausnahmsweise genossene
Gastfreundschaft schuldig war.
Denn Theodor wurde besser gehalten als jemals einer von den alljährlich
gebrauchten Helfern. Theodor war Zeuge in dem Prozeß gegen die
Landarbeiter. Er unterhielt sich mit dem Untersuchungsrichter. Er begleitete
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Das Spinnennetz
- Title
- Das Spinnennetz
- Author
- Joseph Roth
- Date
- 1923
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 93
- Keywords
- Roman, Geschichte
- Categories
- Weiteres Belletristik
Table of contents
- Kapitel 1 5
- Kapitel 2 10
- Kapitel 3 14
- Kapitel 4 17
- Kapitel 5 21
- Kapitel 6 24
- Kapitel 7 30
- Kapitel 8 32
- Kapitel 9 36
- Kapitel 10 39
- Kapitel 11 42
- Kapitel 12 44
- Kapitel 13 47
- Kapitel 14 50
- Kapitel 15 52
- Kapitel 16 54
- Kapitel 17 57
- Kapitel 18 59
- Kapitel 19 61
- Kapitel 20 64
- Kapitel 21 67
- Kapitel 22 69
- Kapitel 23 73
- Kapitel 24 76
- Kapitel 25 79
- Kapitel 26 81
- Kapitel 27 83
- Kapitel 28 86
- Kapitel 29 89
- Kapitel 30 92