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war das Gefühl der Sicherheit gewichen. Die inneren politischen Wirren hatten die Gegen-
sätze zwischen den Parteien verschärft, die Bürger zum Mißbrauch ihrer Rechte und
Freiheiten verleitet und Sitten und Charakter der Bewohner verwildert. Infolge der
Verschlechterung der Münze und der Theuerung der Lebensbedürfnisse, der Unsicherheit
der Straßen suchten die fremden Kaufleute den Wiener Platz zu meiden. Durch die Aus-
artungen der Geistlichkeit und die sich verbreitenden Ideen des Humanismus war es
zu heftigen Gegensätzen unter den Gebildeten gekommen. Die Hochschule hatte durch
politisches Parteileben ihr Ansehen und durch ihr Festhalten au den Lehren der Scholastik
ihre Bedeutung für die Wissenschaft eingebüßt. Diese Erscheinungen machten sich in dem
Leben unserer Stadt immer fühlbarer, je grüßer nach dem Tode Friedrichs III. die
Umwälzungen in den politischen, kirchlichen und socialen Verhältnisfen Europas wnrden.
Der Zuwachs an Macht und Größe, welcher während der Regicrungszeit des Kaisers
Maximilian I. seinem Hause durch mannigfachen Landererwerb zutheil wurde, nahm auf
die Politische Stellung Wiens keinen Einfluß. Sie war vielmehr durch den Neid und die
Mißgunst der Stände der Erblande gar sehr gefährdet, wie deren Haltung auf dem
Innsbrucker Ausschußtage im Jahre 1518 bewies, wo die Abgeordneten des Stadtrathes
mit ihrem Vorschlage, Wien zum Sitze der obersten gemeinsamen Regierung zu wählen,
nicht durchzudrängen vermochten. Unter den Bürgern brach sich allmälig eine immer größere
Erbitterung gegen die Regierung des Kaisers Bahn, weil diese angeblich die Grundlage
ihrer Rechte, die Wahlfreiheit, beschränkte und in die Verwaltung der Gemeinde ciugriff.
Widerwärtige Processe wurden geführt und Zwistigkeiten unter den Bürgern genährt.
Immer feindseliger wurde der Geist der deutschen Handelsgesellschaften gegen das Nieder-
lagsrccht der Wiener. Die Angsburgcr Kaufherren und ihre Gcnoffen ruhten nicht, bis
endlich eine neue Niederlagsordnung zustande kam, welche den Großhandel ausschließlich
in ihre Hände brachte. Nebstbei nahm der Welthandel nach der Entdeckung Amerikas
eine Richtung, welche die frühere Vcdcntung Wiens fnr Italien und den Orient als
Handelsplatz schwächte. Nur in einer Beziehung schien es, als ob unsere Stadt das
Vcrsä'umniß früherer Jahre nachholen, zn einer hervorragenden Rolle bei der durch Kaiser
Maximilian I. mächtig geförderten Befreiung der Wissenschaften von den Banden der
Scholastik bestimmt nnd zum Hauptsitze geistiger Forschung auserkoren sein würde. Männer
uou großem Rufe bestiegen die Lchrstühle der Hochschule, gründeten eine gelehrte Gesellschaft
für die Pflege der classifchen Ntudien und geizten nach dem Ruhme der Dichter des
Alterthums. Mit Eifer wurde nach den Quellen der Landesgeschichte und den Gesetzen
der Natur geforscht. Und aus weiter Ferne zogen die Studenten wieder auf die Hochschule
zur Betheiligung an der Bewegung der Geister. Dieser Aufschwung dauerte aber nicht
länger als das Leben des „letzten Ritters".
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Wien und Niederösterreich, 1. Abteilung: Wien, Band 1
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Wien und Niederösterreich, 1. Abteilung: Wien
- Band
- 1
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1886
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 16.13 x 22.72 cm
- Seiten
- 348
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch
Inhaltsverzeichnis
- Landschaftliche Lage Wiens 3
- Zur Geschichte Wiens 5
- Wiens architektonische Entwicklung 51
- Wiener Volksleben 91
- Die Musik in Wien 123
- Die deutsche Literatur in Wien und Niederösterreich 139
- Das Wiener Schauspiel 169
- Malerei und Plastik in Wien 205
- Wiener Kunstindustrie 263
- Voltswirthschaftliches Leben in Wien 277