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zu Hilfe. Als infolge des Anwachsens der Bevölkerung die bisherigen Quellwasserleitungen
nicht mehr genügten, widmete Kaiser Ferdinand I. im Jahre 1835, das Krönungsgeschent
der niederösterreichischen Stände zur Anlage einer neuen der Stadt und den Vorstädten
zugute kommenden Wasserleitung mit Benützung der Donau. Wien kam in den Ruf
einer großen und angenehmen, von den Fremden gern besuchten Stadt, welche — dem
Ausspruche der Reisenden des XVIII. Jahrhunderts zufolge — mit Paris nnd London
wetteiferte. Nur beklagten alle, daß die Straßen zu eng seien, nm die Pracht der Paläste
und der öffentlichen Gebäude bewundern zu tonnen.
Der kaiserliche Hof übte eine große Anziehungskraft auf die weitesten Kreise. Er
genoß seit Leopold I. den Ruf, durch feine vornehme Haltung uud feinen Glanz von
keinem anderen iu Europa übertroffen zn werden. „Wir geben zu", fchreibt Kuchelbecker,
„daß andrer großer Potentaten Höfe, vornehmlich der französifche, meistentheils auch
fehr zahlreich und daß an selben vielleicht ebenfoviele Caualiers und andere Bediente als
an dem kaiserlichen engagirt sind, allein es genießet von solchen zuweilen kaum die Hälfte
Gage oder Besoldung, sondern die mehrsten sind mit dem Prädicat znfrieden und trösten
sich mit der süßen Hoffnung der ^li-vivanee und warten mit Geduld, bis die Antecessores
Platz machen. Allhier ist es ganz anders." Kuchelbecker erzählt nun, daß nicht nur alle
im Dienste Stehenden Besoldungen genießen, sondern daß auch die außer demselben
Befindlichen bis auf den geringsten Diener herab Pensionen beziehen, daß die Hofwürden-
träger dem höchsten und reichsten Adel angehören nnd einen Stolz darein setzen, durch
ihren Pruuk das Ansehen des Kaiserhofes zu erhöhen. Der Wiener Hof galt aber auch
als eine Schule des vornehmen Adels, iu welcher stch diefer feine Sitten aneignen konnte,
daher auch die edelsten Familien des In- und Auslandes darnach strebten, daß ihre Kinder
in den Hofstaat nnd in die Armee oder in die Staatsämter aufgenommen würden. Durch
diefes Ansehen des kaiserlichen Hofes wurde Wien der Sammelpunkt zahlreicher Fremder
ans allen Theilen Europas, eine mächtige Quelle der Wohlhabenheit der Bürger.
Das geistige Leben Wiens, früher so armselig nud einseitig, lenkte in freiere, mit
den Ideen der Aufklärung im Einklänge stehende Bahnen ein. Seit Josef I. uud Karl Vl.
verloren die Jesuiten ihr politisches Übergewicht uud kamen mildere religiöse Grundsätze
zur Geltung. Maria Theresia, wiewohl selbst sromm uud glaubenseifrig, stellte doch
die staatlichen Interessen über jene der Kirche; sie erkannte die schädliche Wirkung des
Aberglaubens, der Unduldsamkeit der Geistlichkeit und der häufigen Brnderschaftsfeste auf
das sociale Leben nnd trat diesen Erscheinungen entgegen. Aber so tief wurzelte noch der
Einfluß der Geistlichkeit, daß solche Bestrebungen anfangs Unzufriedenheit hervorriefen.
Selbst die Aufhebung des Ordens der Iefuitcn, welche doch vom Papste Clemens XIV.
ausging, wurde in einzelnen Kreisen als ein Act der Verfolgung betrachtet, obgleich die
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Wien und Niederösterreich, 1. Abteilung: Wien, Band 1
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Wien und Niederösterreich, 1. Abteilung: Wien
- Band
- 1
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1886
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 16.13 x 22.72 cm
- Seiten
- 348
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch
Inhaltsverzeichnis
- Landschaftliche Lage Wiens 3
- Zur Geschichte Wiens 5
- Wiens architektonische Entwicklung 51
- Wiener Volksleben 91
- Die Musik in Wien 123
- Die deutsche Literatur in Wien und Niederösterreich 139
- Das Wiener Schauspiel 169
- Malerei und Plastik in Wien 205
- Wiener Kunstindustrie 263
- Voltswirthschaftliches Leben in Wien 277