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jede ist ein uenes beredtes Zeuguin dafür. Bald schließt der Architekt sich in Grundrißsmm
und Aufbau den deutschen und französischen Mustern des Mittelalters an, bald werden
altösterrcichische oder italienische Vangedanken in ihm lebendig — stets aber bleibt er dem
Genius der Stilweise und sich selber treu, ist ein gewissenhafter Constrnctcnr, ein vor
Allem nach Wahrheit uud Gediegenheit des Ausdrucks ringender Äünstler. Alle von
Schmidt iu Wien errichteten Kirchen sind Ziegelrohbauten und mit sehr beschränkten
Mitteln ausgeführt. Er hat uufer Auge wieder an den schlichten Reiz des Vackstcinbaues
gewöhnt nnd gerade in der einfach derben Formensprache dieses Materials den Volks-
thiimlicheu Geist seiner Natur bekundet. Als originellstes der hierher gehörigen Werke
veranschauliche!! wir deu malerischen Kuppelbau der Funfhauser Kirche.
Den ersteu reinen Quaderbau gothischen Stils im heutige» Wien hat Heinrich
Freiherr von Ferstel in seiner zierlichen Vot iv t i rchc sseschaffen, Die Blüte der
mittelalterlichen Kunst, der lichte Pfeilerwald mit seiner edlen Gliederung nnd den kühn
geschwungenen Wölbungen, die reiche Chorbilduug mit Umgang und Havellenkrauz, das
voll entwickelte Strcvesystem, die Fac,ade mit ihren Portalen, der Fensterrose nud den
schlanken, durchbrochenen Thnrmhelmen: alles ist iu verjüngter Gestalt neu gebore«. Und
hier, wo es ein denkwürdiges Ereigmß ans dem Leben des Herrschers zu feiern galt, flössen
die Mittel auch reichlich genug, um das Bauwerk iu die gauze Pracht des bilduerischen
nnd malerischen Schmuckes kleiden zu töuueu, welche der Stil fordert. So besitze» wir in
der Botivkirche nicht nur ein Meisterwerk des höchstentwickelten Steiubaucs, ciuc Schöpfung
der nutcr Josef Kranner nach mittelalterlicher Art wieder erstandenen Bauhütte, sondern
ein Oesammtwerk der bildenden nud ornamentalen Knuste vou ciuer Gedaukeufülle und
Feinheit, wie es ein Menscheualter früher Niemand in Wie» sich hätte träumen lassen.
Anch au kleineren, für begrenzte Sphären bestimmten Kirchen banteu hat sich die
Stadt manches gediegenen Wertes zn rühmen. Wir nennen der Zeilfolge nach: den in
manreskem Stil erbanten israelitischen Tempel in der Lcuvoldstadt von L. Förster,
Hansens griechische Kirche und evangelische Friedhofskapelle. Josef Bergmanns raum-
schöue gothische Vlisabcthkirchc ans der Wieden nnd desselben Architekten Pfarrkirche der
Vorstadt Favoriten, eine dreischiffige Pfeilerbasilika mit gerader Decke ans breiten Gurt-
bogen nnd mit zwei Thürmcu neben dem Chor, das einzige kirchliche Gebäude des modernen
Wien von vorwiegend italienischem Renaissance-Charakter,
Das nämliche Princip der freien Coucurreuz, welchem der moderne Kirchenban Wiens
seineu Aufschwung verdankt, eröffnete der Kunst auch den Zugang zn einem Gebiete, dessen
Pforten ihr lange verschlossen geblieben waren: zur Militärarchitektnr. Ungefähr gleich-
zeitig mit der Lerchenfelder Äirche reiste der Plan znr Lrbanung des riesigen k. t. Arsenals
vor der Belvcderclinie. Die Meinung, daß das moderne Militärwesen den Künsten
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Wien und Niederösterreich, 1. Abteilung: Wien, Band 1
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Wien und Niederösterreich, 1. Abteilung: Wien
- Band
- 1
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1886
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 16.13 x 22.72 cm
- Seiten
- 348
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch
Inhaltsverzeichnis
- Landschaftliche Lage Wiens 3
- Zur Geschichte Wiens 5
- Wiens architektonische Entwicklung 51
- Wiener Volksleben 91
- Die Musik in Wien 123
- Die deutsche Literatur in Wien und Niederösterreich 139
- Das Wiener Schauspiel 169
- Malerei und Plastik in Wien 205
- Wiener Kunstindustrie 263
- Voltswirthschaftliches Leben in Wien 277