Seite - 100 - in Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild - Wien und Niederösterreich, 1. Abteilung: Wien, Band 1
Bild der Seite - 100 -
Text der Seite - 100 -
100
Großvater sich ciufauden, wenn es sich darum handelte, durch ein paar Stündchen sich
zu belustigen. Es suchte wieder seine „Voltssänger" auf — ehemals „Harfenisten"
genannt — und was in den Bereich dieser Branche und diefes Genres gehört.
Es ist eine hundertjährige Geschichte, die da zn erzählen wäre, weun man auf das
„Wieuer Voltssängerthuni" zu sprechen kommt, da hier allzeit der günstigste Boden
zu sein schien, wo diese allerdiugs schon zu Bruder Angnstins Zeiten arg degenerirt
gewesene Pflanze des Volksgesanges und des Volksliedes, die trivialste Abart der alten
edlen Meistersingerei. das Zerrbild des anmuthigen Troubadour- nnd Minstrelwcfens uud
der lieblichen Svielniannstunst wiederholt am üppigsten gedieh.
In völligen Mißcrcdit mußten jedoch diese ungerathenen Seudlinge der himmlischen
Frau Mnsica und Überhanut dieser Zweig von Volksbelustigung schon in den ersten
Decenuien dieses Säculums gerathen und bis in die Mitte der Dreißiger-Jahre geblieben
fein, da in jener Zeit nur mehr die pitoyabelsten Gestalten i» diesem „Kunstmetier" zu
finden waren, die dasselbe fast nur anstatt des Bettelns betrieben. Uralte, zerlumpte
Matronen, hinfällige, trüppelhaftc Greife, meist blind, zöge» in den Häusern umher uud
krähten unter Begleitung eines schaudervollen Guitarre- oder Harfengektinipers vor einem
Auditorium von Mägden. Gesellen nud Lehrznngeu mühfeligst ihre textlich nicht immer
säuberlichen Lieder, Von kaum besserer Qualität — Ionas und Stöckel (Vater) etwa
ausgenommen — gaben sich jene ihrer Collegen und Colleginnen, die sich solcherweise in
Wirthshäuser» producirten, freilich letzter Raugsordnuug und schlimmsten Rufes, wie
deren in einzelnen entlegeneren Vorstädten, dann vor den Linien und selbst im Prater zu
finden waren. Und auch bei den Gesangsleistungen au diesen Orten bestand das Accom-
pagnement uur iu einem der erwähnten Instrumente, das PuVlicum daselbst war mit dem
Gebotenen zufrieden nnd warf feine Kreuzer als Mufeulohu lachend auf den Teller, mit
dem der „Harfenist" (der Guitarrespieler wurde ebenso titulirt, weil es ein „Standesnamc"
war) von Tisch zn Tisch absammeln ging. Ein kläglich Vergnügen, ein kläglicher Verdienst!
Da tauchte ein Manu auf, der dem gauzen Stande eine andere Färbung, einen
anderen Charakter verlieh, Moser, der anfänglich auch noch bei der Harfe, also als
leibhafter „Harfenist" wirkte, verbannte bald das discreditirte Instrumeut, wählte das
vornehmere Clavier, gewann ein paar tüchtige Mitglieder, schrieb für sich und seine Gesell-
schaft selbst die (sehr witzigen) Lieder, Duette, Terzette u«d komischen Scenen, nannte
sich „Volkssänger", perhorrescirte auch das „ignoble" Absammeln, stivulirte dafür ein
fixes (mäßiges) Eutree, ließ sich wie eine andere Kunsterscheinnng durch Placate anuonciren
und gab — was von Wichtigkeit für die angestrebte Reform und Läuterung — seine
„Soireen" nur in besseren uud beste» Localitäteu, wohiu auch sogleich uur das anständigste
Publikum ihm folgte.
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Wien und Niederösterreich, 1. Abteilung: Wien, Band 1
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Wien und Niederösterreich, 1. Abteilung: Wien
- Band
- 1
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1886
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 16.13 x 22.72 cm
- Seiten
- 348
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch
Inhaltsverzeichnis
- Landschaftliche Lage Wiens 3
- Zur Geschichte Wiens 5
- Wiens architektonische Entwicklung 51
- Wiener Volksleben 91
- Die Musik in Wien 123
- Die deutsche Literatur in Wien und Niederösterreich 139
- Das Wiener Schauspiel 169
- Malerei und Plastik in Wien 205
- Wiener Kunstindustrie 263
- Voltswirthschaftliches Leben in Wien 277