Seite - 104 - in Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild - Wien und Niederösterreich, 1. Abteilung: Wien, Band 1

104 „Specialitäten" für ihre immer unrentabler sich gestaltenden Unternchmnngcn herbei- zuschaffen, die eigentliche „Attraction" also fehlte und man glaubte, diesen Abgang, dieses Manco au „Sensationellem" durch, wenu auch gealterte uud stimmlose, aber kühn decolletirte und dreist phantastisch costümirte „Singmamfells" zu ersetzen, was jedoch nicht verfing, vielmehr selbst deu ausharrendsteu Applansfex abstumpfte uud auch ihn endlich gauz vertrieb, so schlössen sich, wie sie entstauben, ebenso rasch, diese Quasi-Musentempel für „gemischte Kuust" und besitzt Wien gegenwärtig nur mehr zwei oder höchstens drei derselben. Das „Orpheum", das sich gleich ursprünglich nobilistrte nnd wirklich manch Interessantes in seinem Genre bietet, ist uud war das vorzüglichste „Tiugel-Tangel". Aber alle miteinander, ob gut ob schlecht, schädigten die Theater, die doch wahrlich eine würdigere, ja volkscrziehende und -bildende Aufgabe haben, uud entzogen ihnen im Vereine mit Voltsfüngern, Singspielhallen und den übrigen Lockvögeln dieser Art viele Tausende uon sonst treuen Besuchern. Das ist, nebst Anderem, ernsthaft zn beklage,,. Wie sich Wien weiter noch unterhalt? Das heißt: das Volt vou Wien? Je nnn, es gilt auch hier der toleraute Grundsatz, Iedcu nach seiner Fa^ou, wenu schon uicht selig nud glücklich werden, fo doch sich vergnügen zn lassen. Und waruni auch nicht? Gibt es doch Leute uon solch exemplarischer Genügsamkeit, uou solch wunderbarer Bescheidenheit in ihren Ansprüchen an die Freuden des Lebens, daß sie uns fast an die Weisen des Alter- thums eriuneru und unsere Äewnndcrung herausfordern touuteu. wenn uns bei aufmerk- samer Betrachtung nicht vielmehr das herzlichste Lachen oder anch eine gewisse Rührung näher sein würde. Ein Spaziergang quer durch Wien nnd um Wien lehrt uns Mauches und Vieles und zeigt iu zahllosen Beispielen, wie wenig der Mensch eigentlich bedarf, um zufrieden zu sein. Gehen wir hundertmal denselben Weg, so begegnen wir hundertmal denselben Leuten, von denen aber gut die Hälfte nicht ihreu regelmäßigen Geschäfts- pflichten nachzukommen, fondern ihre Recreations- und Erholungszeit, und zwar nur in der gewohnten Methode auszufüllen fucht. Unser Herrgott hält sich bekanntlich verschiedene Kostgänger und sorgte durch Originale, daß es auf der Welt uicht zn einförmig werde, während wieder eben die Ein- förmigkeit der Lebensweife diese Einzelnen zu Originalen stempelt. Nehmen wir vorerst die „Stilleu im Lande" vor, die, unbekümmert um das tosende Geräusch des Menschen- verkehres und die überraschendsten Geschehnisse und Ereignisse, uur ihre harmlosen Separatneignngen befriedigen und die es aus dieser Ursache jahrüber und alltäglich und zur gleichen Sluudc immer an die nämlichen Punkte zieht, mag auch dort und da das Merkwürdigste zu fchaueu sein. Närrische, aber unschädliche uud bescheidene Käuze! So durchwandert beispielsweise der Eine, der just nicht lebenssatt, dem aber doch nur an der Stätte der Verwesung wohl wird, zum tausendsten Male die Friedhöfe und weidet