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Es ist eine Art Fachwissenschaft für ciue Torte Wiener, immer !lli kllt zu sei»,
wo inomentan der „beste Heurige" geschänkt wird. Verläßliche Kenner begeben sich
freiwillig und angeblich uur im allgemeinen Interesse als erprobte Experten ans die
Wanderschaft und „kosten" heute in Nlißdorf, morgen in Sievcring, übermorgen in
Hciligenstadt, später einmal in Ottakrina, oder Währing oder Weinhaus oder Grinzing
oder selbst in dem stark „verhauenen", aber doch noch immer popnlären Hernals u. s. w.
bei schon seit Jahren renommirten „Leitgebern" von den Resultaten der letzten Fechfung
oder anch jüngsten Versnchs-Mi schling. Mundet der Tropfen, dann geht das Losungswort
mit Blitzesschnelle in die Runde, und die Massenzüge nach dem nenen Wallfahrtsorte
beginnen. Geschieht nnn der Anmarsch anch in ziemlicher Ordnnng und finden sich die
Karawanen in keiner Aufsehen erregenden Weise an ihrem Bestimmungsorte ein, so
erzeugt doch die daselbst herrschende universelle Stimmung, das Tohubohu des zechenden
Janhagels, das wüste ,1up3^wrv^" der sehr gemischten Gesellschaft alsbald die gleiche
Neignng unter deu Angekommenen, die der ausgegebenen Parole sogleich Folge leisten
und in das übliche Kriegsgeschrei begeistert einstimmen, das nach dem bekannten Urtexte
der „Hernalfer Vulgata" lautet: „Verkauft's mein G'wand, i bin im Himmel!"
Und nun, durch den steten Zuwachs gestärkt, wächst der Lärm bis zur Betäubnug
und die Temperatur bis zur Siedhitze. Die Musikanten — Schüler und Nachkömmlinge
des vielberühmteu seligen „Grueber Franz!", der auf seinem Lieblings-Iustrumente, dem
„picksüßen Holz" (der Clarinette) einstens in seiner Art Classisches leistete — spielen
die „tiefsten" Tänze; die feschesten Fiaker und üppigsten Wäscherinnen besorgen au den
„Ehrentifchen", wo die Mäcene mit den „Spendirhosen" zu sitzen pflegen, das
Nccomftagnement, indem sie die drastisch-volksthümlichen Weisen mit kunstgeübtem Pfeifen,
Paschen und Jodeln begleiten; die AuZspielerinneu schäckeru mit ihren nobelsten Gönnern
und preisen ihre Riefenkipfel, alten Hennen, Feigenkränze nnd dergleichen Curiofa kirrend
an, die gefüllten Gläser nnd Steintriige balanciren zu Dutzenden über den Häuptern
der Anwesenden, der Wirrwarr wird schwindelerregend.
In dieses Iuoelgestramvfe, Getöse. Gedudel und lauteste Gelächter mischt sich nnn
bereits auch das Stöhnen nnd Geächze der schlaftruukenen, weinenden nnd — nicht mehr
ganz nüchternen Kinder, und man drängt zwar deßhalb endlich zur Heimkehr, aber man
„maschkerirt" sich noch früher mit deu Hüten und Kleidungsstücken des gegentheiligen
Geschlechtes. Auch diefe Tollhäuslerei verursacht neues Gelächter, und man heimst hierauf
an der Ausgangsthnr noch die letzte, aber auch höchste „Heurigen-Ehre": das
„Austrudeln" seitens der begleitenden Musikanten ein. Ein effectvoller Abschied!
Nun ist man auf der Straße. Man hört zwar keine Rufe: ,^vaö!" und „NWIeu!",
wie sie bei den Dionysoszügen einst gebräuchlich waren, aber die Scharen der Ziehenden
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Wien und Niederösterreich, 1. Abteilung: Wien, Band 1
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Wien und Niederösterreich, 1. Abteilung: Wien
- Band
- 1
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1886
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 16.13 x 22.72 cm
- Seiten
- 348
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch
Inhaltsverzeichnis
- Landschaftliche Lage Wiens 3
- Zur Geschichte Wiens 5
- Wiens architektonische Entwicklung 51
- Wiener Volksleben 91
- Die Musik in Wien 123
- Die deutsche Literatur in Wien und Niederösterreich 139
- Das Wiener Schauspiel 169
- Malerei und Plastik in Wien 205
- Wiener Kunstindustrie 263
- Voltswirthschaftliches Leben in Wien 277