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die Musik seiner großen Wiener Vorgänger, hat ein neueH starkes Band geistiger Zusammen-
gehörigkcit zwischen Österreich nnd Deutschland geschaffen, Beethoven war hier als einer
der Größten verehrt; er war es im Publimm, das an seinen Werken hing, er war es vor
Allem in den kunstsinnigen Kreisen des höchsten Adels, wo er — der Republikaner und
schroffe Sonderling — als Ebenbürtiger behandelt wurde. Wer gedenkt nicht gerne der
echt adeligen Gesinnung des Erzherzogs Rudolf, der Fürsten Kinsty und Lobkowitz, welche
Beethoven eine lebenslängliche Rente von 4.000 Gulden aussetzten, ohne irgendwelche
Gcgenverpflichtung, lediglich damit Beethoven in Wien sorgenfrei feiner Kunst lebe» könne!
Es geschah dies im Jahre 1809, dem Todesjahre Haydns und Albrechtsbergers ^ ein
Markstein, der den Übergang der älteren Musikperiode in die neue charakteristisch
bezeichnet.
Wie Beethoven seine mächtigsten künstlerischen Anregungen in Wien empfing, so
strahlte sein Genie auch wieder zunächst auf Wien Licht und Wärme befruchtend aus.
„Wahrlich, in diesem Schubert steckt der göttliche Funke!" rief Beethoven, als er auf
feinem letzten Krankenlager die Lieder Schuberts durchblätterte. Dieser „göttliche Funke"
Schuberts hatte sich an Beethovens Flamme entzündet, um bald in eigenstem Lichte zu
strahlen. In seiner Musik erinnert er an Beethoven, defsen grüblerisches, menschenscheues
Wesen jedoch unserem Schubert, diesem echten Wiener Kinde, ferne blieb. Offenen, heiteren
Sinnes, voll treuherziger Kindlichkeit, erinnert er an das gleichfalls echt österreichische
liebenswürdige Naturell Mozarts, dem er in seiner Lebensweise gleicht und leider auch in
seinem frühen Tode. Schuberts kleines, einstöckiges Geburtshaus in der Vorstadt Himmel'
pfortgrund drängt dem Vorübergehenden unwillkürlich einen ähnlichen Ausruf auf die
Lippen, wie ihn Beethoven beim Anblicke eines ihm theuren Bildes von Haydns Geburts-
haus gethan: „Eine fchlechte Baucrnhütte, in der ein so großer Mann geboren wurde!"
Schuberts Jugendzeit im väterlichen Haufe ist ein rührendes Familienbild aus dem ärmeren
Mittelstand des alten Wien. Der Vater — ein mit 19 Kindern gesegneter Schullehrer —
ist musikalisch wie seine Söhne. Die Woche hindurch find sie geplagte Leute, des Sonntags
aber, wenn sie daheim zusammen musiciren, tauscheu sie mit keinem König. Haydn und
Schubert sind diejenigen großeu Compomsten, in welchen der österreichische Charakter
am stärksten und unverkennbarsten austlingt. In allen Musikgattungen unerschöpflich und
glücklich schassend, hat Schubert speciell in einer, im Liede, uns eine neue Welt erschlossen,
ähnlich wie Mozart in der Oper, Beethoven in der Symphonie. Schuberts letzter Wunsch,
neben Beethoven begraben zu sciu, ist erfüllt worden. Das aber hätte er sich in seinen
kühusten Phantasien nicht träumen lassen, daß fünfzig Jahre später neben Beethovens
Denkmal sein eigenes unter Blumen und Fliederbüschen stch erheben würde! In nicht langer
Zeit wird auch Mozarts Monument in die Nähe dieser Beiden rücken.
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Wien und Niederösterreich, 1. Abteilung: Wien, Band 1
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Wien und Niederösterreich, 1. Abteilung: Wien
- Band
- 1
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1886
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 16.13 x 22.72 cm
- Seiten
- 348
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch
Inhaltsverzeichnis
- Landschaftliche Lage Wiens 3
- Zur Geschichte Wiens 5
- Wiens architektonische Entwicklung 51
- Wiener Volksleben 91
- Die Musik in Wien 123
- Die deutsche Literatur in Wien und Niederösterreich 139
- Das Wiener Schauspiel 169
- Malerei und Plastik in Wien 205
- Wiener Kunstindustrie 263
- Voltswirthschaftliches Leben in Wien 277