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anderen Dingen gehandelt und auch eine Iulianeulegende hinterlassen; ein (Priester?)
Heinrich rnft in einer versificirten Litanei deu Beistand aller Heiligen gegen den bösen Feind
an. Der bedeutendste Name ist zugleich der des ersten Satirikers in deutscher Sprache:
Heinrich von Melk führt uus an den localen Ausgangspunkt unserer Betrachtung zurück.
Heinrich uon Melk muß aus deni Widerstreite des geistlichen und welllichen
Elementes verstanden werden, welche im XII. Jahrhunderte im Kampfe lagen. Weltlust und
Abtödtuug des Fleisches, Ritterthum und Kirche hießen die Gegensätze, welche um die Ober-
hand rangen. Heinrich uon Melk stand mitten in diesen Conflicten, er war als Ritter geboren
und zog sich in seinem Alter als Laienbruder ins Kloster zurück. So stand er außerhalb
des Ritterthumes, dem er mit Herz und Überzeugung angehörte, uud war doch teinOcistlicher.
Für die Schäden des weltlichen und geistlichen Standes hatte er ein gleich offenes Auge
nud einen durch die Leidenschaft geschärften Blick. Aus schwerverwundetem Herzen schrieb
er feine „Erinnerung an den Tod", einem verderbten Geschlechte ruft er sein dumpfes
rneinenw mori in die Ohren, nicht in umschreibenden Phrasen oder ermüdender Rhetorik,
sondern anknüpfend an einen bestimmten Fall, iudem er einmal das Leben eines Königs-
sohnes schildert nnd darüber sein a vänit^! ruft, iudem er die Frau an die Bahre des
Mannes führt, oder indem er die Pforten des Jenseits öffnet und dem zitternden Sohne die
Qualen der Hölle dnrch den Geist des Vaters schildern läßt.
Der Gegensatz zwischen dem Geistlichen und Weltlichen beherrschte nicht blos das
Leben, sondern auch die Dichtung des XII. Jahrhunderts. Der geistlichen Dichtung, welche
ihre Gedanken -der französischen Theologie und ihre Formen der lateinischen Dichtung
cntlchnte, stand die wellliche Dichtung der Sviellente gegenüber, welche die nationalen
Stoffe der Heldensage in altheimischcr Form behandelten. Am Ende des Jahrhunderts
unterlag die erstere, wiederholt klagen die Verfasser geistlicher Dichtungen, daß sie bei ihrem
Publilnm nnr wenig Beifall zu erwarten hätten, und die Richtung Heinrichs von Melk
fand im Xll l . Jahrhunderte eiuen ganz vereinsamten Nachfolger. Die Spielleute oder
fahrenden Sänger, welche das einheimische volksthiiinliche und nationale Element vertreten,
bleiben Sieger und haben der Dichtung in Niederösterreich in der Blütezeit des Mittel-
altcrs ihre Signatur gegeben. Während man sich anderwärts im Epos und in der Lyrik
den ucueren Stoffen und Formen, welche aus Frankreich kamen, zuwandte, bewahrt
Österreich die altcrthümlichen und nationalen Stoffe uud Formen, und nur langsam und
allmälig dringen anch hier fremde Einflüsse durch. Der heimische Stil ist frischer, uatür-
lichcr, sinnlicher und inniger, der fremde ist kuustmäßiger, conveutioneller, geistreicher,
aber kälter. Wo sich die Vorzüge des ersteren mit denen des letzteren verbinden, da hat die
Dichtung iu Niedcrösterrcich um das Jahr 1200 eine Höhe erreicht, welcher außer Österreich
nur ein einziger Dichter der Zeit gleichgekommen ist.
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Wien und Niederösterreich, 1. Abteilung: Wien, Band 1
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Wien und Niederösterreich, 1. Abteilung: Wien
- Band
- 1
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1886
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 16.13 x 22.72 cm
- Seiten
- 348
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch
Inhaltsverzeichnis
- Landschaftliche Lage Wiens 3
- Zur Geschichte Wiens 5
- Wiens architektonische Entwicklung 51
- Wiener Volksleben 91
- Die Musik in Wien 123
- Die deutsche Literatur in Wien und Niederösterreich 139
- Das Wiener Schauspiel 169
- Malerei und Plastik in Wien 205
- Wiener Kunstindustrie 263
- Voltswirthschaftliches Leben in Wien 277