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Für die Lichtung pflegt in Zeiten, welche so sehr nach außen beschäftigt sind, ineist
die innere Ruhe nnd Sammlung zu fehlen. Auch hat Nicderösterreich im XVIll. Jahr-
hundert kein großes poetisches Talent gezeitigt. Aber das Zeugniß darf den Dichtern der
drei letzten Jahrzehnte nicht versagt werden, daß sie ihrem Vaterlande seit einer Reihe
Uon Jahrhunderten zum ersten Male wieder einen Platz in der Literaturgeschichte erobert
haben. Sie theilen sich naturgemäß in zwei Generationen ab. Die erste wirkt in den
Siebziger-Jahren, besteht zum größten Theile aus Exjefuiten und dichtet, dem Mnster
der Klopstock und Ramler folgend, Oden in antiken Silbenmaßen, ohne den Tendeuzen
der Zeit Einfluß auf die Dichtung zu gestatten; Denis und Mastalier stehen an der Spitze
dieser Grnppe nnd der erstere hat durch seine Übersetzung des Ossian auch auf das
Ausland zurückgewirkt. Die zweite Generation wirkt in den Achtziger- und Neunziger-
Jahren, besteht zum größten Theile aus Freimaurern, hält sich näher an das Beispiel
Wielands, welcher in Wien seinen stärksten Anhang hatte, nnd steht als Tendcnzpoesie
durchaus im Dienste der Ideen des Josefinischen Zeitalters. Die bedeutendsten Namen
dieser Gruppe find Alxingcr uud Blumauer, in der Nachahmung Wielands und in der
Abneigung gegen speculative Philosophie sich begegnend, fönst aber vielfach von einander
verschieden: Alxinger ist an der Antike geschult, welche Blnmaner parodirl; Alxinger ist
sorgfältig in der Form, Blumaucr so salopp in der Sprache und im Vers, wie cynifch im
Inhalt. Aber Blumaner hat von Bürger die Mittel einer nachdrücklicheren Wirkung
abgesehen, nnd fein Witz, so trivial er mitunter wird, ist aufgeweckt und aufweckend,
während die Grazie Alxingers ermüdet. Blumauer allein uon allen Dichtern der Zeit
hat das Jahrhundert überlebt und wird heute noch gelesen. Die Dichter dieser jüngeren
Generation befaßen seit 1777 ihren Sammelpunkt in einem cigeueu Wiener Musen-
almanach, welchen nach einander Ratscht«, Blumauer, Leon uud andere Herausgabe».
Die Mitarbeiter desselben ermangeln größtentheils einer eigenthümlichen Physiognomie,
sie ahmen mehr oder weniger gefchickt die in Deutschland begründeten lyrischen Stilarten
nach und haben selbst wieder ihre Nachahmer im Inlande gefunden. Während Ratschky
den Spnren Blumauers folgt, wandelt Haschka, der spätere Dichter der Voltshymne, in
seinen Oden die Bahnen Denis'; Leon dagegen sucht einen eigenen Weg, indem er sich
an den alten Minnefang hält. Wiederum machen sich die Frauen bemerkbar: Karoliue
Greiucr und ihre Freundin Gabriele von Vanmberg fehlen in keinem der Almanache.
Inzwischen hatte sich die dramatische Tichtnng nach einer ganz anderen Richtung
entwickelt, als nian hätte vermuthen sulleu. Auf der von den Späßen des Hans Wurst
gereinigten Schaubühne faßtcu nicht die frostigen Alexandrinerstücke Ayrenhoffs, welcher
mit feinem Freunde Retzcr unermüdlich gegen Shakefpeare eiferte, in Wien aber kaum
einen nennenswcrthen Nachfolger fand, festen Fuß, fondern der das Repertoire beherrschte,
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Wien und Niederösterreich, 1. Abteilung: Wien, Band 1
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Wien und Niederösterreich, 1. Abteilung: Wien
- Band
- 1
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1886
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 16.13 x 22.72 cm
- Seiten
- 348
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch
Inhaltsverzeichnis
- Landschaftliche Lage Wiens 3
- Zur Geschichte Wiens 5
- Wiens architektonische Entwicklung 51
- Wiener Volksleben 91
- Die Musik in Wien 123
- Die deutsche Literatur in Wien und Niederösterreich 139
- Das Wiener Schauspiel 169
- Malerei und Plastik in Wien 205
- Wiener Kunstindustrie 263
- Voltswirthschaftliches Leben in Wien 277