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und den charakteristischen Ausdruck fand diese Generation auf dein episch lynschcn Gebiete.
Hier bildete sich gegenüber der Heiue'schen und der schwäbischen Schule, nicht ganz
unabhängig von beiden, aber doch selbständig,, eiue östcrreichischeIchule mit eigenthümlichem
Charakter heraus. Die Anknüpfung au die frühere Zeit fand sie in der Ballade, welche
auch jetzt nicht blos oon Zedlitz und Leuau, sonder» auch vou Dichtern zweiten Ranges
mit Erfolg gepflegt wurde. Der Freiherr oon Zedlitz, ein Dichter, welcher als Dramatiker
durchaus unter dcn Einflüssen der romantischcu Tchule stand nud ihrer Anrcguug auch
jetzt die künstliche Cauzonenform verdankte, gab in seinen „Tudtcntränzeu" dcn ersten Ton
dieser neuen Dichtung an. Er wurde bald übertönt durch die hellere Stimme eines
Nachfolgers: Anastasins Grün war das glänzendste Talent der ncnen Schule, bilder-
reich und farbenprächtig bis zur Verschwendung, uolltönend in der Rhetorik, adelig in der
Form uud im Ausdrucke. Au Tiefe und Innigkeit übertraf ihn Nikolaus Lenan, einer
der größten Elegiker in deutscher Sprache, der in Ton uud Farbe deu directen Gegensah zu
Anastasius Grün bildet. Dieser holt seine Bilder mit Vorliebe aus der grünen Frühlings-
zeit und der sonnigen Umgebung der Kaiserstadt: über Lcuans Dichtnng lagert der aschgrane
Himmel der heimischen Puszla uud er feiert den trüben Herbst. Grün fucht in der Natur
nach Bildern für dcn Kampf der Freiheit uud des Lichtes: Lena» ficht in ihr ein Bild
seiner eigcucn inneren Trauer nm die Vergänglichkeit und Hinfälligkeit alles Irdischen.
Grün besaß die Gabe, sich uon seinem Kummer, inocm er ihu in lautstimmige Verse brachte,
zu befreien: Lenau wurde von dem, was ihn iuncrlich verzehrte, rast- und ruhelos durch
die alte uud neue Welt getrieben. Der eine fetzt die Tradition der patriotischen Stosse fort,
indem er den Kaiser Max in der Nibelnngenstrophe besingt: den andern treibt der ungestüme
Drang feiues Innern zum Faustthema, welches bald auch andere österreichische Dichter
behandeln. Lenau am nächsten stand sein Landsmaun, Frcnnd uud Schüler Karl Beck: der
Ausdruck seiuer Melancholie erinnert zuweilen au die elegischen Töne der allhebräischen
Dichtung, aber er ist hellfarbiger als sein Meister und schädigt durch unruhigen Wechsel
die Kraft nnd Fülle seiner Bilder. In Grüns Spuren wandelt auch Ludwig August Frank!,
der wie dieser die Habslinrger besang. Die reine Lyrik stand bei den ersten Dichtern der
Zeit hinter den auf dem Grenzraine der Lyrik nnd Epik erblühten Tichtnugeu zurück. Die
nach antiker Formenschönheit strcbeuden Dichtungen Feuchterslebens waren der Ausfluß
eines nach Goethes Vorbild eingerichteten Lebens; derselben milden uud harmonischen
Lebensanschauung suchte auch Franz von Schober in der muderuen Souettform eiuen
geeigneten Ausdruck zu geben. Die Neflexions Poesie repräscntirt Brnnn von Brauuthal,
der früh verstorbeue L. Halirsch dagegen dichtete leichte, einfache, natürliche Lieder in der
Art W. Müllers, welche er leider nnr zu eilfertig hinwarf. Die Lyrik Manrhofers ist der
Ausdruck eiuer tiefeu. in sich versenkten Natur und fand an seiucm Freunde Schubert
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Wien und Niederösterreich, 1. Abteilung: Wien, Band 1
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Wien und Niederösterreich, 1. Abteilung: Wien
- Band
- 1
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1886
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 16.13 x 22.72 cm
- Seiten
- 348
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch
Inhaltsverzeichnis
- Landschaftliche Lage Wiens 3
- Zur Geschichte Wiens 5
- Wiens architektonische Entwicklung 51
- Wiener Volksleben 91
- Die Musik in Wien 123
- Die deutsche Literatur in Wien und Niederösterreich 139
- Das Wiener Schauspiel 169
- Malerei und Plastik in Wien 205
- Wiener Kunstindustrie 263
- Voltswirthschaftliches Leben in Wien 277