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ihm anmelden läßt, befiehlt er, die Leichname in seinem Zelt, die er in seinem unberechen-
baren Zorn geliefert, zn beseitigen. „Laß aber erst das Zelt ordentlich zusammeuräumen.
Überall liegen Erstochene herum: nur keine Schlamperei!" Durchaus ist hier echt komische
Steigerung vorhanden und Holofernes wird ans seinem eigenen Geiste heraus vernichtet.
Nestroys parodistische Kraft war in der That einzig. Für alles Nichtige und Lächerliche
besaß er ein scharfes Auge. Nicht nur Hebbel hatte diese Kraft an sich erfahren, sondern
auch die Schicksalsdichter, sowie Friedrich Halm, Meyerbeer und Richard Wagner.
Freilich auch nach dem Höchsten hat Nestroy seine uufromme Hand ausgestreckt uud
das Reine war nicht sicher vor seinem Griff. Tas ist oft einseitig ausgesprochen worden und
hat das Urtheil über Nestroy getrübt. Man hört sagen, Nestroy habe den Wienern ihre
Ideale zerstört. Dieses Urtheil ist zu hart, zu unbedingt. Nestroy ist nicht als ein Fremder
nach Wien gekommen, hat den Wienern das Joch seines Geistes nicht gewaltsam aufgelegt,
im Gegentheil, er ist aus dem Schoße Wiens aufgestiegen und hat sich nur vorhandener
Richtungen bemächtigt, vorhandene Neigungen gesteigert. Als er heraufkam, gab es in
Österreich kein großes öffentliches Interesse. Alles wurde von oben beforgt, der Staat
war dem Österreicher eine verbotene Sache. Erwerb und Genuß, ein Trittes gab es nicht.
Und wie leicht war der Erwerb, wie billig der Genuß! Mit einem Silberzwanziger kounte
damals ein einzelner Mann einen Tag lang stott leben. Der Dunstkreis von Wien war
erfüllt von dem Dufte gebackener Hühner, von der Blume des Gumpoldstirchener Gewächses,
und dazwischen hörte man den bezaubernden Dreischlag der Walzer von Strauß und
Lanner. Der Frühling hatte feine Vlumeu, der Sommer seine Ausflüge, der Winter feinen
Tanz und das ganze Jahr feine schonen Frauen. Gegen die Übergriffe der Großen wehrte
man sich durch einen schlechten Witz, der die angeborne Lachlust befriedigte. Und doch
versteckten sich unter dieser glatten Oberstäche ernstere Regungen, die nur des befreienden
Wortes harrten, um sich hervorznwagen. Für eine solche Lage der Geister und Gemüther
war Nestroy gerade der rechte Mann. Eine gute, rechtliche, innerlich weiche Natur
— denn ihn, den Unbändigen, fesselte zuletzt eine kleine Frauenhand — ging ihm alle
Ungerechtigkeit, alles Nichtige, das sich aufbläht, alles Lächerliche, das imponiren will,
zu Herzen. Die Form seines Zornes war der Witz, der Sarkasmus und manchmal jene
schamlose Entrüstung: der Cynismus. Er stieg die ganze Leiter des Spottes auf und nieder
und fein vernichtender Hohn konnte sich momentan bis zu Swift'scher Höhe steigern. Wie
es eine hlllbstumme Zeit mit sich brachte, flüchtete Nestroy seine halbe Kraft in sein
stummes Spiel. Was das Wort unausgesprochen ließ und lassen mußte, gab sein Spiel
kund. Er hatte witzige Geberden, spöttische Mienen, ja das Spiel seiner Augen und
Augenbrauen war dämonisch und tonnte sich bis zum Teuflischen verzerren. Wenn er nun
durch feinen Witz nicht selten wahrhaft befreiend wirkte, so hielt er doch nicht immer die
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Wien und Niederösterreich, 1. Abteilung: Wien, Band 1
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Wien und Niederösterreich, 1. Abteilung: Wien
- Band
- 1
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1886
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 16.13 x 22.72 cm
- Seiten
- 348
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch
Inhaltsverzeichnis
- Landschaftliche Lage Wiens 3
- Zur Geschichte Wiens 5
- Wiens architektonische Entwicklung 51
- Wiener Volksleben 91
- Die Musik in Wien 123
- Die deutsche Literatur in Wien und Niederösterreich 139
- Das Wiener Schauspiel 169
- Malerei und Plastik in Wien 205
- Wiener Kunstindustrie 263
- Voltswirthschaftliches Leben in Wien 277