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der deutlichsten empirische» Beweise für den von der Theorie aufgestellten Satz anführen.
daß mit dem Steigen der Cultur immer mehr die historische Bedeutung der Städte
schwindet, während ihre Aufgabe, als „Herzkammer des wirthschaftlichen Lebens die
Pulsfchläge cinrs ganzen Reiches zu bewirken", in den Vordergrund tritt. Für das
Gebiet der mittleren Donau, das sich im Norden in die vom hercynischcn und böhmischen
Randgebirge umschlossenen Plateaux erweitert, das im Marchthale bis an die Grenze vou
Schlesien und Westgalizien führt, im Osten noch einen Theil der ungarischen Tiefebene
wirthschaftlich beeinflnßt nnd im Süden durch das Stromsystem bis an die Hochalpen
reicht, ist Wien das natürliche VerkehrZcentrum. Die meisten österreichischen Grönländer
öffnen sich fächerförmig auf Wien zu, so daß nach den Hauptrichtungen des Verkehrs oer
kürzeste oder bequemste Weg über Wien führt. „Die höchste volks-, ja weltwirthschaftlichc
Bedeutung" — sagt Wilhelm Röscher ein ebenso unbefangener als gelehrter Gewährs-
mann, dessen Stimme mehr bedeutet als unser eigenes patriotisches Gefühl —> „pflegen
diejenigen Städte zu erlangen, deren Ortslage zugleich dem Sicherheitsbedürfnifse der
niederen nnd dem immer wachsenden Verkehrsbedürfnisse der höheren Cultur entspringt,
die also nicht blos Residenzen, sondern zuletzt auch Gewerts- und Handelsplätze ersten
Ranges werden. Eine solche Hauptstadt zu besitzen, gehört zn den vornehmsten Einigungs-
und daher Machtmitteln jedes Volkes".
Wer wollte daran zweifeln, daß Österreich sich dieser seltenen Gunst erfreut? Wie
die alten, auf das Ende des XII. und den Anfang des XIII. Jahrhunderts zurück-
reichenden Stadtrechte zugleich Ttapelprivilegien und Nicderlagszwangrechte waren; wie
schon der Zndrang der Kreuzfahrer, Pilger, Einwanderer und Schisser, welche, von der
oberen Donau kommend, im Wiener Becken die Grenzen der abendländifchen Cnltnr
erreichten, die bald volkreiche Herzogstadt mit Herbergen, Hospitälern, Kaufläden und
Waarenmagazinen füllte; wie Wien es ist, dessen Gewerbfleiß fchon in der Nibelungen-
sage seinen Rnhm findet, indem der Dichter den Markgrafen Rüdiger von Pechlarn hier
die Kleider anschaffen läßt, als er für König Etzel nm Chriemhildens Hand warb, — so
wurde auch in fpäteren Jahrhunderten Wien durch die Handels- und Völterströmung, die
von West und Nord und Süd her ihren Weg in das mittlere Donaugebiet suchte, immer
wieder ernährt, gefördert, gehoben. Nimmt man, um in vorgerücktere Zeit zu blicken, die
vergilbten Wassermauth-Register vom Beginne des XVIII. Jahrhunderts znr Hand, so
eröffnen sie das Bild eines umfassenden Verkehrs in allen Zweigen des Waarenhandcls
und lehren, daß Wien damals auch den oberdeutschen Städten gegenüber eine dominircnde
Stellung einnahm. Bald erweiterte sich diese wirthschaftliche Macht nnferer Hauptstadt über
das Eiserne Thor hinab nnd es kam die Periode, in welcher der österreichische Handelsstand
in der Levante seinen größten Einfluß errang.
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Wien und Niederösterreich, 1. Abteilung: Wien, Band 1
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Wien und Niederösterreich, 1. Abteilung: Wien
- Band
- 1
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1886
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 16.13 x 22.72 cm
- Seiten
- 348
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch
Inhaltsverzeichnis
- Landschaftliche Lage Wiens 3
- Zur Geschichte Wiens 5
- Wiens architektonische Entwicklung 51
- Wiener Volksleben 91
- Die Musik in Wien 123
- Die deutsche Literatur in Wien und Niederösterreich 139
- Das Wiener Schauspiel 169
- Malerei und Plastik in Wien 205
- Wiener Kunstindustrie 263
- Voltswirthschaftliches Leben in Wien 277