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und dem Marchfeld, Johannisbeere!!, Stachelbeeren aus Preßburg und der unteren Donau-
gegend; andere enthalten Walderdbeeren vom Semering und Himbeeren, wieder andere
Schwämme aus dem Wienerwald. Dann komineu Wagenladungen mit eigenthümlich nett
verflochtenen viereckigen Körbchen; sie bringen Paradeisäpfel aus Italien, Istricn uud
Görz. Jeder Händler erhält seinen Standplatz, wo er die Waare ausbreitet; die Verkäufer
eßbarer Schwämme müssen bei jedem Korb ihr eigenes Licht aufstellen, damit man unter-
scheidet, ob unter ihren Pilslingen, Röthlingcn und Champignons sich nicht ein giftiges
Stück eingeschlichen hat. Von anderen Seiten werden in großen, spitz zulaufenden Bütteln
die unzählbaren Mafsen von Gemüfe gebracht: Petersilie und Carotten, rothe Rüben und
Kohl, Salat und Kohlrabi, Zwiebel nnd Porree, kurz Alles, was die Jahreszeit bietet und
die Küche braucht. Es wird von den Wagen zu den Standplätzen getragen, sauber in Haufen
aufgeschlichtet uud füllt bald die ganze „Freynng" bis zur Renngasse und in den „tiefen
Graben" so an, daß tanm die Pafsage frei bleibt. Die Marttcommissäre halten strenge
Ordnung, hier darf keiu Wagen stehen bleiben, nur die Waare wird ausgebreitet. Nun
kommen Fuhren mit Blumen: Hortensien, Nelken, Rosen, Pelargonien, Levkoyeu, Resedeu,
iu Töpfen oder abgeschnitten, spottbillig. Während so der Grußverkauf vorbereitet wird,
sind die umliegenden Kaffeehäuser und Gaststuben schon von jenen üeuleu besetzt, die später
Einkäufe machen wollen: Greißlern, Wirthen, Marktweibern, Händlern, Hausirern, es
geht recht lustig uud wohlbehäbig in dieser echt wienerischen biederen Gesellschaft im Halb-
dunkel zu; sie trinken Melange uud essen Krapfen, stärken sich mit Puufch oder Schnaps;
eine Gruppe uou Fuhrleuten vertreibt sich die Zeit mit Kartenspielen, während andere
ermüdet ans den Bänken, Sesseln nnd Billards liegen und schlafen.
Da schlägt die Uhr drei, der ^n ^ras-Handel darf beginnen; das Getriebe wächst
zusehends; die Bewegung der vielen Tausende von Männer«, Weibern, Kinder«, Gehilfen,
Trägern, Fuhrleuten, macht den Eindruck des Ameise »Haufens. „Am Hof", auf der
„Freyung", auf dem „Iudenplatze" sieht man Kopf an Kopf, die Leute mit den weißen und
bunten Kopftücheln, den niedrigen Kappen, den blauen Schürzen; es wogt hin und her wie
auf einem riesigen Corso. Mindestens 6.000 bis 8.000 Menschen verkehren hier emsig mit
einander. Das Geschäft erreicht gegen vier Uhr Morgens seinen Höhepunkt, dann beginnen
sich die Reihen zu lichten; die Käufer fahren ihr Gemüse und Obst für deu Detailhandel
fort; die Verkäufer, die ihre Waare an Mann gebracht haben, kehren zu ihren Wagen
zurück; der Tag graut bereits; das Bild, welches früher mit einem matte» Schleier bedeckt
war, tritt uu» farbenreicher nnd immer klarer hervor; die Gruppen ordueu fich neu; gegen
fünf Uhr kehren schon viele Wagen mit leeren Bütteln und Körben heim; auf dem Markt-
plätze felbst fäugt man an, für dc» Kleinverkauf die Genmfc uud das Obst zu sortiren; um
sechs Uhr muß uach der Marktordnung Alles vers ^wunden sein, was de» Großverschleiß
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Wien und Niederösterreich, 1. Abteilung: Wien, Band 1
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Wien und Niederösterreich, 1. Abteilung: Wien
- Band
- 1
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1886
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 16.13 x 22.72 cm
- Seiten
- 348
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch
Inhaltsverzeichnis
- Landschaftliche Lage Wiens 3
- Zur Geschichte Wiens 5
- Wiens architektonische Entwicklung 51
- Wiener Volksleben 91
- Die Musik in Wien 123
- Die deutsche Literatur in Wien und Niederösterreich 139
- Das Wiener Schauspiel 169
- Malerei und Plastik in Wien 205
- Wiener Kunstindustrie 263
- Voltswirthschaftliches Leben in Wien 277