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Grade wie kaum eine zweite Großstadt charakterisirt sein durch das Nebeneinander jener
Gegensähe, die uns einerseits vollendet moderne nud anderseits veraltete Productious-
formen derselben Gewerbezweige, — einerseits Unternehmungen, welche dem technischen
Fortschritte entspringen, demselben huldigeil und den Wettstreit mit dem Auslande uicht
zu scheueu haben, und anderseits wieder solche Unternehmungen Zeigen, welche durch die
ausländische Concurrenz bedroht sind uud von dem internationalen Markt werden weichen
müssen. Der Systematiker auf dem Gebiete des Gewerbebetriebes sieht sich in Wien einem
bunten Durcheinander nicht nur von Productionsformen, sondern auch von Productions-
richtuugen gegenüber. Kaum kaun man sich des Vergleiches zwischen dem Bilde des gewerb-
lichen Schaffens in Wien und den Figuren des Kaleidoskopes erwehren, welche sich in
unerschöpflicher Viclartigteil stets erneuern und dabei Ursprung nud Herkommen durch
das Gewirr von Furm und Farbe verdecken.
Würde mau durch abgestufte Farbeutöne die Intensität des Gewerbebetriebes in seiner
Vertheilung über Wien darstellen, so müßte der westliche Theil der Stadt am dunkelsten
erscheinen; Hundsthurm, Margarethen, Gumpendorf, Mariahilf, Schottenfeld, Neubau
und die angreuzeuden Vororte von Meidlina, bis eiuschließlich Hernals beherbergen die
Gewerbetreibenden am dichteste«, doch gibt es keine Vorstadt uud keiuen Vorort, der nicht
ciuzelue Gewerbebetriebe von Bedeutung ausweist. Man könnte Wien construiren, indem
man ein Stück Lüttich mit einer Straße von Schmalkaldcn oder Renischeid, einen Häuser-
block des Pariser Faubourg St. Antoinc niit einer Ausiedluug ans dem Thüringer
Walde verbindet, den florirendeu Gewerbebetrieb für die allgemeinen Bedürfnisse einer
sich rasch erweiternden Stadt mit dem Habitus des Londoner Distriktes Whitc-Chavel
verschmilzt. In einen: solchen Durcheinander erscheinen die Prudnetiunsformen und
Productionsrichtuugeu der Großstadt an der Donau.
Wien hat den Nachtheil, eine geschlossene Stadt zu seiu, das heißt, Wieu ist die
bedeutendste jener ueun Städte Österreichs, in welche mau eiue Reihe der wichtigste»
Consumartikel, darunter auch Brennstoffe nicht einführen kann, ohne eine Staatssteuer,
welche den bezeichnenden Name» „Verzehrungssteuer" führt, uud eiue accessorische
Comumnalumlage zu entrichten. Außerhalb jeuer Grenze, welche die geschlossene Stadt
umgürtet, der sogenanuteu „VerzehruugssteuerLiuie", liegen noch zwei Gemeinden, welche
zum Wiener Verwaltungsgcbiete gehören, außerdem aber eine Reihe selbständiger
Industrialorte, an Ausdehunng und wirthschaftlicher Bedeutung großen Städteu gleich,
dann größere und kleinere Dörfer, welche unter der Gesammtbezeichnnng „Landgemeinden"
in die verschiedenen an Wieu angrenzenden politischen Bezirke fallen. Diese „Land-
gemeinden" oder „Vororte" haben, sofern sie unmittelbar an Wien grenzen, städtischen
Charakter, der sich gegen die äußere Peripherie hin verdünnt, so daß weiter hinaus die
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Wien und Niederösterreich, 1. Abteilung: Wien, Band 1
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Wien und Niederösterreich, 1. Abteilung: Wien
- Band
- 1
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1886
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 16.13 x 22.72 cm
- Seiten
- 348
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch
Inhaltsverzeichnis
- Landschaftliche Lage Wiens 3
- Zur Geschichte Wiens 5
- Wiens architektonische Entwicklung 51
- Wiener Volksleben 91
- Die Musik in Wien 123
- Die deutsche Literatur in Wien und Niederösterreich 139
- Das Wiener Schauspiel 169
- Malerei und Plastik in Wien 205
- Wiener Kunstindustrie 263
- Voltswirthschaftliches Leben in Wien 277