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von dem gewöhnlichen abweicht, verstanden? Teilt
er sich denn jenen mit, von welchen er sich unter-
scheidet? Kann er sich denn beim besten Willen
mitteilen? Nur die Oberfläche und das Konventio-
nelle tritt im Verkehr der Menschen untereinander
hervor; das Innerliche und Eigenartige enthüllt sich
nur dem Gleichgestimmten. Darin liegt mit ein
Grund, warum das Atypische so oft unsichtbar bleibt,
und das Durchschnittliche den Anschein einer viel
größeren Ausbreitung erhält, als es in Wirklichkeit
besitzt.
Ohne die Aussagen derjenigen, die in ihren Werken
ihr Selbst der Welt geschenkt haben, was wüßten wir
von der menschlichen Natur? Solche Aussagen sind
das Material, das ich im zweiten Teile dieses Buches
auf seine symptomatische Bedeutung hin betrachte.
Deshalb hat dieses Buch mehr einen Erkenntniswert
als einen propagatorischen. Gegner zuüberzeugen, er-
warte ich nicht, denn das würde heißen. Andersgeartete
zu bekehren. Und ich glaube nicht an eine Verstän-
digung durch intellektuelle Mittel unter Personen von
ursprünglicherWesensverschiedenheit. Auch wenn sie
intellektuell einander gleichstehen, werden sie sich
gegenseitig durch verstandesmäßige Argumente nicht
nähern können, da alle Überzeugungen— zum min-
desten die echten— nur Äußerungen der Wesenheit
sind. Im Grunde genommen reden wir nicht, um
zu überzeugen, sondern um das zu sagen, was die
Natur uns aufgetragen hat. Wer in den Künsten des
Denkens bewandert ist, weiß, daß sich alles be-
haupten und beweisen, und alles bezweifeln und
widerlegen läßt. Der Kampf der Meinungen, mit
welchen Methoden, wie gründlich und sachlich er
auch geführt wird, bleibt ein müßiges Spiel, sobald
er nicht den Ausdruck für Grundtriebe bedeutet, die
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Buch Zur Kritik der Weiblichkeit"
Zur Kritik der Weiblichkeit
- Titel
- Zur Kritik der Weiblichkeit
- Autor
- Rosa Mayreder
- Verlag
- Eugen Diederichs Verlag
- Ort
- Jena
- Datum
- 1922
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 10.5 x 16.5 cm
- Seiten
- 316
- Schlagwörter
- Feminismus, Soziologie, Machtverhältnisse, Geschlechterkampf, Frauen
- Kategorie
- Geisteswissenschaften
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 1
- Grundzüge 7
- Mutterschaft und Kultur 48
- Die Tyrannei der Norm 85
- Von der Männlichkeit 102
- Das Weib als Dame 139
- Frauen und Frauentypen 157
- Familienliteratur 187
- Der Kanon der schönen Weiblichkeit 199
- Einiges über die starke Faust 210
- Das subjektive Geschlechtsidol 244
- Perspektiven der Individualität 261
- Nachwort 299