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spekt vor der kontemplativen Gemütsstimmung, aus
der die edelsten Blüten der Geistigkeit hervorgehen,
so weit vergessen, daß es auch dem Künstler und
dem Gelehrten eine Kampfrolle zumutet.
Wie es aber mit der Politik, die am ehesten als
ein Krieg im übertragenen Sinn angesprochen werden
kann, in Ansehung der Männlichkeit bestellt ist, be-
leuchtet der Ausspruch Burdachs, daß die Frauen
sich aller Wahrscheinlichkeit nach besser für die Po-
litik eignen würden als die Männer — ein Aus-
spruch, den Havelock Ellis mit der Bemerkung kom-
mentiert, daß das Spiel der Politik bei jenen, die es
ausüben, spezifisch weibliche Eigenschaften zu ent-
wickeln scheint. Damit wird den Frauen durchaus
kein Kompliment gemacht— namentlich angesichts
des modernen Repräsentativsystems, dessen Wahl-
methode ganz darauf hinzielt, die Schwätzer und
Maulhelden ans Ruder zu setzen und die Komödianten
auszuzeichnen, die am besten den Masseninstinkten
zu schmeicheln verstehen.
Ebensowenig wie der Krieg in Gestalt der Politik,
ist der Krieg, der mit der Feder geführt wird, ge-
eignet, spezifisch männliche Eigenschaften nach Ana-
logie des primitiven Geschlechtsideales zu entwickeln.
Das moderne Zeitungswesen, in dem der Angreifer
gewöhnlich durch die Anonymität unsichtbar gemacht
wird und ein bezahlter Strohmann für eventuelle
Konflikte mit dem Gesetz aufzukommen hat, bildet
nicht gerade eine Schule der Mannhaftigkeit und des
persönlichen Mutes— außer, man wollte etwa die
Leistungen der Kriegskorrespondenten und ähnliche
mit Strapazen verbundene Aufgaben nach dieser Hin-
sicht anrechnen.
Näher vielleicht wird man dem Wesen der differen-
zierten Männlichkeit kommen, wenn man sie als die
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Zur Kritik der Weiblichkeit
- Titel
- Zur Kritik der Weiblichkeit
- Autor
- Rosa Mayreder
- Verlag
- Eugen Diederichs Verlag
- Ort
- Jena
- Datum
- 1922
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 10.5 x 16.5 cm
- Seiten
- 316
- Schlagwörter
- Feminismus, Soziologie, Machtverhältnisse, Geschlechterkampf, Frauen
- Kategorie
- Geisteswissenschaften
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 1
- Grundzüge 7
- Mutterschaft und Kultur 48
- Die Tyrannei der Norm 85
- Von der Männlichkeit 102
- Das Weib als Dame 139
- Frauen und Frauentypen 157
- Familienliteratur 187
- Der Kanon der schönen Weiblichkeit 199
- Einiges über die starke Faust 210
- Das subjektive Geschlechtsidol 244
- Perspektiven der Individualität 261
- Nachwort 299