Seite - 172 - in Zur Kritik der Weiblichkeit
Bild der Seite - 172 -
Text der Seite - 172 -
verlässigen Grundlage des teleologischen Geschlechts-
charakters ruht. Auch die heterogenen Frauentypen,
die wir eben kennen gelernt haben, sind im letzten
Grunde durch die erotische Eigenart unvereinbar von-
einander geschieden.
Ein Zug ist es vor allem, durch den das persön-
liche Leben wie die historische Stellung des weib-
lichen Geschlechtes bestimmt wird— die Abhängigkeit.
Sie entspricht ohne Zweifel einem inneren Be-
dürfnis, das aus der Wesensbeschaffenheit einer
gewissen Art Frauen hervorgeht. Und sie hat
ebenso unverkennbar ihren Ursprung in dem eroti-
schen Gebiet.
Solche Frauen bedürfen eines Haltes, einer Füh-
rung, eines Gesetzes, das ihnen ein überlegener
Wille vorschreibt. Der Mann ist ihr Inhalt, ihr Ober-
haupt, ihr Eigentümer; und die Vorstellung der Unter-
werfung unter seine körperliche und geistige Herr-
schaft löst bei ihnen die erotische Lustempfindung
aus. Deshalb lieben sie die starke Faust, die befehlen
und verbieten, drohen und bezwingen kann. Sie sind
es auch, die in dem Manne ihres Herzens die Illusion
bestätigen, daß sie sein Werk und Geschöpf sind;
denn sie unterliegen der suggestiven Gewalt seiner
Person so weit, daß sie sich ganz der Form an-
schmiegen, die seinem Geschmack entspricht. An
ihnen stellt sich die teleologische Geschlechtsnatur
des Weibes am unbedingtesten dar; ihre ganze Per-
sönlichkeit ist von ihr durchdrungen und geht restlos
in ihr auf.
Für den Mann bildet ihre Wesensart eine gewisse
Bürgschaft, wenn nicht unbedingt des Glückes, so
doch der Ungestörtheit. Darin ist auch der Grund
zu suchen, warum gerade diese Varietät der weib-
lichen Natur so hoch geschätzt wird. Das Weib
172
zurück zum
Buch Zur Kritik der Weiblichkeit"
Zur Kritik der Weiblichkeit
- Titel
- Zur Kritik der Weiblichkeit
- Autor
- Rosa Mayreder
- Verlag
- Eugen Diederichs Verlag
- Ort
- Jena
- Datum
- 1922
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 10.5 x 16.5 cm
- Seiten
- 316
- Schlagwörter
- Feminismus, Soziologie, Machtverhältnisse, Geschlechterkampf, Frauen
- Kategorie
- Geisteswissenschaften
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 1
- Grundzüge 7
- Mutterschaft und Kultur 48
- Die Tyrannei der Norm 85
- Von der Männlichkeit 102
- Das Weib als Dame 139
- Frauen und Frauentypen 157
- Familienliteratur 187
- Der Kanon der schönen Weiblichkeit 199
- Einiges über die starke Faust 210
- Das subjektive Geschlechtsidol 244
- Perspektiven der Individualität 261
- Nachwort 299