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schlechtscharakter. Wird nicht auch eine „unersätt-
liche Herrschsucht" als das Lebenselement desWeibes
bezeichnet? Ist nicht das Salom6sche Weib das
ganz auf sich beruhende, und also vom Manne un-
abhängige Wesen? Ist nicht für Mrs. Egerton jene
Frau die vorbildliche, die durch keine Mannesliebe
jemals innerlich ganz befriedigt wird? Die sich selbst
für „die Menschenblume, die Krone der Schöpfung"
und den Mann nur für das „zufällige Beiwerk" hält—
Solchen Frauen erscheint der Mann im mildesten Fall
als ein „komisches, großes Kind", über das sie in
stiller Überlegenheit lächeln, im schlimmeren aber
als ein „Tier mit primitiven Instinkten" oder gar
schlechtweg als „Mannbestie". Und ihre Lehre lautet:
„Halte deine Seele fest in der Hand und verpfände
sie an keinen Mann".
Bei diesem Typus tritt etwas auf, was man dem
Herrschafts- und Überlegenheitsgefühl an die Seite
stellen kann, das in der männlichen Psyche als Prä-
rogative der Männlichkeit erscheint. In ihrer schroff-
stenForm ist dieseWeiblichkeit nicht fernvon Männer-
verachtung; das Verhältnis, das zwischen ihr und der
ihr adäquaten Männlichkeit besteht, erinnert an jene
Art der Liebe, von welcher Nietzsche sagt, daß sie
„in ihren Mitteln der Krieg, in ihrem Grunde der
Todhaß der Geschlechter ist".
Dieser paradoxe Ausspruch beleuchtet zwar nicht
das Wesen der Liebe, aber doch das Wesen der Ge-
schlechtsbeziehungen, wie sie sich in den Unter-
gründen des Bewußtseins abspielen. Für die Frauen
hat der Genuß an der Ausübung persönlicher Macht
nicht weniger Reiz als für den Mann; und das ver-
breitetste Geschlechtslaster der Weiblichkeit, die Ge-
fallsucht, entspringt diesem Verlangen nach Macht.
Die Natur hat dem Manne die physische Gewalt der
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Zur Kritik der Weiblichkeit
- Titel
- Zur Kritik der Weiblichkeit
- Autor
- Rosa Mayreder
- Verlag
- Eugen Diederichs Verlag
- Ort
- Jena
- Datum
- 1922
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 10.5 x 16.5 cm
- Seiten
- 316
- Schlagwörter
- Feminismus, Soziologie, Machtverhältnisse, Geschlechterkampf, Frauen
- Kategorie
- Geisteswissenschaften
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 1
- Grundzüge 7
- Mutterschaft und Kultur 48
- Die Tyrannei der Norm 85
- Von der Männlichkeit 102
- Das Weib als Dame 139
- Frauen und Frauentypen 157
- Familienliteratur 187
- Der Kanon der schönen Weiblichkeit 199
- Einiges über die starke Faust 210
- Das subjektive Geschlechtsidol 244
- Perspektiven der Individualität 261
- Nachwort 299