Seite - 218 - in Zur Kritik der Weiblichkeit
Bild der Seite - 218 -
Text der Seite - 218 -
alle; die sich seiner Kenntnis entzöge, würde sie nicht
auch seiner Überlegenheit entgehen?
Dazu kommt, daß weder seine sexuelle Phantasie
ein mannigfaltiges und inhaltsvolles Bild der Weiblich-
keit zu produzieren vermag, noch daß seine harte,
ungeschmeidige Geschlechtsnatur einer innigen see-
lischen Annäherung und Verschmelzung fähig ist: so
findet er überall das eine Weib, das er kennt. Nichts
fällt ihm schwerer, als Ausnahmen von dem Typus,
der für ihn „das Weib" bedeutet, zuzugestehen. Er
wird jeder Erscheinung gegenüber, die nicht in diesen
Rahmen paßt, eher geneigt sein, auf pathologische
Anomalien zu schließen. Ein Weib mit dem Bedürf-
nisse nach Selbständigkeit, mit den Neigungen der
freien Persönlichkeir, ist ihm gewöhnlich der Hysterie
verdächtig oder des Komödiantentumes; und er wittert
den suggestiven Einfluß eines Mannes hinter jeder
weiblichen Betätigung auf geistigem Gebiet. Alle
Leistungen und alle Argumente hervorragender Frauen
können daran nichts ändern; sie werden höchstens
den Widerwillen, den Groll oder den Spott des herri-
schen Erotikers erregen. So hat Nietzsche sich nicht
gescheut, es als „Korruption der Instinkte" zu be-
zeichnen, wenn ein Weib sich etwa auf Frau von Stael
oder Madame Roland oder George Sand berufen
wollte; und er behauptete: „unter Männern sind die
Genannten die drei komischen Weiber an sich—
nichts mehr", obzwar George Sand eine ungewöhn-
lich große Anziehungskraftaufviele vorzügliche Männer
ausübte, und also für diese wohl nicht das „komische
Weib an sich" sein konnte.
Nicht einmal die schicksalsvolle Vorherbestimmung
zu gesteigerten Leiden, die mit der Erwählung zu
einem Leben der produktiven Geistigkeit für Mann
und Weib in gleichem, ja für das Weib aus vielfäl-
218
zurück zum
Buch Zur Kritik der Weiblichkeit"
Zur Kritik der Weiblichkeit
- Titel
- Zur Kritik der Weiblichkeit
- Autor
- Rosa Mayreder
- Verlag
- Eugen Diederichs Verlag
- Ort
- Jena
- Datum
- 1922
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 10.5 x 16.5 cm
- Seiten
- 316
- Schlagwörter
- Feminismus, Soziologie, Machtverhältnisse, Geschlechterkampf, Frauen
- Kategorie
- Geisteswissenschaften
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 1
- Grundzüge 7
- Mutterschaft und Kultur 48
- Die Tyrannei der Norm 85
- Von der Männlichkeit 102
- Das Weib als Dame 139
- Frauen und Frauentypen 157
- Familienliteratur 187
- Der Kanon der schönen Weiblichkeit 199
- Einiges über die starke Faust 210
- Das subjektive Geschlechtsidol 244
- Perspektiven der Individualität 261
- Nachwort 299