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tlgen Gründen in erhöhtem Maße verknüpft ist, wird
solche Männer zu Mitgefühl oder Sympathie bewegen;
auch die Verwandtschaft, die das gleiche Los und
die gleichen inneren Erlebnisse zwischen ihnen und
den Frauen der Geistigkeit bilden, stellt kein Band
des Verständnisses her. Im Gegenteil! Gerade diese
Verwandtschaft erbittert sie; denn das Weib als ein
verwandtes oder gleichartiges Wesen ist ihnen un-
erträglich. Sie dulden keine Verwandtschaft oder
Ähnlichkeit zwischen sich und dem Weibe; dergleichen
geht für sie wider die Natur. Die Leiden und Kon-
flikte, die sie an sich selbst als das Schicksal der
Geistigkeit erleben, betrachten sie am Weibe als ab-
schreckende Begleiterscheinungen einer Verirrung
vom rechten und natürlichen Wege der Weiblichkeit,
an denen sie gleichgültig oder entrüstet vorübergehen.
Eine andere Vorstellung des herrischen Erotikers,
die unverkennbar auch nicht der Erfahrung entstammt,
tritt in der Überzeugung hervor, daß er jedes weib-
liche Wesen zu erobern vermag, wenn er will. Man
kann die subjektive Illusion der Unwiderstehlichkeit
aus dem Munde von Männern hören, die in keiner
Weise, weder durch persönliche Vorzüge, noch durch
Glücksgüter, genügend ausgestattet sind, um eine so
mächtige Anziehungskraft begreiflich erscheinen zu
lassen. Es müßte nur in dieser Überzeugung selbst
etwas Suggestives liegen. Der feinere Frauenkenner
aber weiß — eine Beobachtung, die Paul Bourget
in seiner Physiologie der modernen Liebe bestätigt—
daß er immer nur auf eine gewisse Art von Frauen
Eindruck machen und bei anderen nie reüssieren
wird— was sich ja unter Menschen mit differen-
zierten sexuellen Empfindungen von selbst versteht.
Wie mit der Illusion der universellen Weiberkennt-
nis ergreift der naive Geschlechtsdünkel der Männ-
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Buch Zur Kritik der Weiblichkeit"
Zur Kritik der Weiblichkeit
- Titel
- Zur Kritik der Weiblichkeit
- Autor
- Rosa Mayreder
- Verlag
- Eugen Diederichs Verlag
- Ort
- Jena
- Datum
- 1922
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 10.5 x 16.5 cm
- Seiten
- 316
- Schlagwörter
- Feminismus, Soziologie, Machtverhältnisse, Geschlechterkampf, Frauen
- Kategorie
- Geisteswissenschaften
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 1
- Grundzüge 7
- Mutterschaft und Kultur 48
- Die Tyrannei der Norm 85
- Von der Männlichkeit 102
- Das Weib als Dame 139
- Frauen und Frauentypen 157
- Familienliteratur 187
- Der Kanon der schönen Weiblichkeit 199
- Einiges über die starke Faust 210
- Das subjektive Geschlechtsidol 244
- Perspektiven der Individualität 261
- Nachwort 299