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Dem feiner organisierten Menschen, dessen Aus-
zeichnung die Strenge gegen sich selbst bildet, ist die
Prahlerei, als eine Übertreibung oder mindestens Zur-
schaustellung der eigenen Vorzüge, etwas Wider-
wärtiges. Dennoch tritt auch in solchen Persönlich-
keiten das prahlerische Element in Verbindung mit
dem Geschlechtsdünkel hervor, soweit in ihrem Seelen-
leben die herrische Erotik regiert.
Es gibt in der deutschen Literatur einen klassischen
Beleg dafür, wie angemessen das prahlerische Auf-
treten selbst den edelsten und vornehmsten Männern
erscheint, wenn ein herrisch-erotischer Tropfen in
ihrem Blute fließt. Dieses repräsentative Werk der
männlichen Prahlerei ist Schillers Wallenstein. Nir-
gends drängt sich der Abstand zwischen den Worten
der Männlichkeit und ihrem Handeln sichtbarer auf
als in diesem Werk. Seine symptomatische Bedeutung
aber liegt darin, daß das prahlerische Element durch-
aus unabsichtlich und nur als natürliche Äußerung
der Mannhaftigkeit auftritt — vielleicht ein Überrest
jener elementaren Empfindung des Autors, die sich
in der „Männerwürde" noch so unverblümt brüstete.
Alle Augenblicke heißt es: „Denkt nicht, daß ich
ein Weib sei"; oder: „Seid ihr nicht wie die Weiber,
die beständig zurück nur kommen auf ihr erstes
Wort"; oder: „Übel stimmt der Weiber Klage zu dem
Tun der Männer"; aber das Tun der Männer, von
denen keiner „eine Tat und ihre Verantwortung" auf
sich zu nehmen vermag (Otto Ludwig), rechtfertigt
dieses prahlerische Überlegenheitsbewußtsein nicht
im geringsten.
Daß das Stück in einer Epoche spielt, in der die
kriegerische Ungebundenheit der primitiven Männlich-
keit zum letztenmal vor ihrem Niedergang hoch auf-
loderte, macht die Schwäche der auftretenden Männer
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Buch Zur Kritik der Weiblichkeit"
Zur Kritik der Weiblichkeit
- Titel
- Zur Kritik der Weiblichkeit
- Autor
- Rosa Mayreder
- Verlag
- Eugen Diederichs Verlag
- Ort
- Jena
- Datum
- 1922
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 10.5 x 16.5 cm
- Seiten
- 316
- Schlagwörter
- Feminismus, Soziologie, Machtverhältnisse, Geschlechterkampf, Frauen
- Kategorie
- Geisteswissenschaften
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 1
- Grundzüge 7
- Mutterschaft und Kultur 48
- Die Tyrannei der Norm 85
- Von der Männlichkeit 102
- Das Weib als Dame 139
- Frauen und Frauentypen 157
- Familienliteratur 187
- Der Kanon der schönen Weiblichkeit 199
- Einiges über die starke Faust 210
- Das subjektive Geschlechtsidol 244
- Perspektiven der Individualität 261
- Nachwort 299