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hervorging, an sozialer Bedeutung dem Schopenhauer-
Strindbergschen nicht gleichkommen? Und er, der
vollendetste Repräsentant der erotischen Genialität,
Goethe, sollte für kommende Geschlechter nicht mehr
vorbildlich sein? Mißverständlicherweise— und viel-
leicht war es ein williges Mißverstehen, mit dessen
Hilfe sich das deutsche Philistertum der Autorität
Goethes bemächtigte!— gilt ganz allgemein das Wort:
„Dienen lerne beizeiten das Weib", als das für Goethes
Stellung zum weiblichen Geschlecht bezeichnende,
während er es doch einem heroischen Mädchen als
Ausdruck freiwilliger Selbstbescheidung in den Mund
legte— jener Dorothea, an der Humboldt tadelte, daß
sie unweiblich genug war, im Augenblick der Gefahr
gleich einem Manne zu den Waffen zu greifen. Wie
Goethes subjektives Idol aussah, erhellt unzweideutig
aus seiner Anschauung: wenn die Frau „ihre übrigen
Vorzüge durch Energie erheben kann, entsteht ein We-
sen, das sich nicht vollkommener denken läßt
. . . Der
Ausspruch ,er soll dein Herr sein', ist die Formel
einer barbarischen Zeit, die lange vorüber ist; die
Männer konnten sich nicht völlig ausbilden, ohne den
Frauen gleiche Rechte zuzugestehen"; und seine
Werke geben reichlich Zeugnis davon, daß er es
verstand, „mit Mannesgefühl die Heldengröße des
Weibes" zu tragen.
Und so wäre „das Weib" nur ein Produkt des
männlichen Gehirnes, eine ewige Täuschung, ein
Schemen, das alle Gestalten annehmen kann, ohne
doch jemals eine davon wirklich zu besitzen?
Das Weib als Abstraktion, als Objekt des Denkens
existiert nur im Kopfe des denkenden Subjektes und
ist so abhängig von diesem, wie es in der Natur des
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Zur Kritik der Weiblichkeit
- Titel
- Zur Kritik der Weiblichkeit
- Autor
- Rosa Mayreder
- Verlag
- Eugen Diederichs Verlag
- Ort
- Jena
- Datum
- 1922
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 10.5 x 16.5 cm
- Seiten
- 316
- Schlagwörter
- Feminismus, Soziologie, Machtverhältnisse, Geschlechterkampf, Frauen
- Kategorie
- Geisteswissenschaften
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 1
- Grundzüge 7
- Mutterschaft und Kultur 48
- Die Tyrannei der Norm 85
- Von der Männlichkeit 102
- Das Weib als Dame 139
- Frauen und Frauentypen 157
- Familienliteratur 187
- Der Kanon der schönen Weiblichkeit 199
- Einiges über die starke Faust 210
- Das subjektive Geschlechtsidol 244
- Perspektiven der Individualität 261
- Nachwort 299