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74 A. Klärner und H. von der Lippe
Der Einfluss sozialen Drucks ist im Hinblick auf Gesundheitsverhalten wirk-
sam und kann positive und auch negative Wirkungen haben, indem er sich darauf
richtet, gesundheitsschädliches oder gesundheitsförderliches Verhalten aufrecht-
zuerhalten oder einzustellen. Die Wirkung sozialen Drucks ist von der Struktur
des Netzwerkes abhängig. Zudem spielt die Bewertung des Drucks durch die
Akteure und die Frage nach Rückzugs-, Ausweich-, oder Vermeidungsmöglich-
keiten eine Rolle (Taylor 2015).
Sozialer Druck, der gesundheitsförderlich wirkt, kann darin bestehen, dass
Netzwerkpartner (bspw. Ehepartner) darauf achten, dass ihnen nahestehende Per-
sonen im Netzwerk physische Symptome ernstnehmen und zum Arzt gehen.
Druck, der gesundheitsschädliches Verhalten fördert, kann zum Beispiel von
Freundes- und Peergruppen ausgeübt werden, indem sich etwa über Abstinenz von
Alkohol und anderen schädlichen Substanzen lustig gemacht wird und die Zuge-
hörigkeit zu einem sozialen Kreis nur aufrechterhalten werden kann, wenn gesund-
heitsschädigendes Verhalten beibehalten wird. Dies ist besonders wirksam, wenn
keine alternativen Kreise vorhanden sind, in denen auf anderen Wegen soziale
Anerkennung erlangt werden kann (s. Abschn. 2.2). Hierzu werden die „klassi-
schen“ psychologischen Lerntheorien wie Konditionierung oder Modelllernen im
Gesundheitskontext diskutiert (z. B. Taylor 2015, S. 51–53).
Aber auch „gut gemeinter“ sozialer Druck, bestimmte gesundheitsschädliche
Verhaltensweisen oder Konsumverhalten einzustellen bzw. gesundheitsförder-
liches Verhalten aufzunehmen, kann negative, nicht-intendierte Folgen haben,
wenn dieser etwa als Einschränkung der eigenen Freiheit erlebt wird und Akteure
absichtlich gegensätzlich handeln (Reaktanz). Sozialer Druck selbst kann Stress
erzeugen und damit gesundheitsschädlich wirken: etwa, wenn von nahestehenden
Netzwerkpartnern Druck ausgeübt wird, um bestimmte Unterstützungsleistungen
zu erhalten und damit beispielsweise finanzielle Abhängigkeiten entstehen.
Insbesondere starke, emotional nahestehende und multiplexe Beziehungen
sind effektiv, wenn es darum geht, sozialen Druck auszuüben, da sie eine höhere
Sanktionsmacht haben. Druck ist gleichfalls in dichten und homogenen Netz-
werken, in den sich alle Netzwerkpartner gegenseitig kennen und in denen von
gemeinsam geteilten Einstellungen ausgegangen wird, besonders stark und tritt
dort mit einer höheren Wahrscheinlichkeit als in weniger dichten, heterogenen
Netzwerken auf, wenn einzelne Netzwerkpartner nicht entsprechend der in die-
sen Netzwerken geltenden sozialen Normen oder Verhaltensmustern agieren
(vgl. Burt 1983; Marsden 1987; Coleman 1988). Eine höhere Dichte macht Kon-
trolle individuellen (von der Gruppennorm abweichenden) Verhaltens und die
Koordination von Anreizen und Sanktionen einfacher.
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Buch Soziale Netzwerke und gesundheitliche Ungleichheiten - Eine neue Perspektive für die Forschung"
Soziale Netzwerke und gesundheitliche Ungleichheiten
Eine neue Perspektive für die Forschung
- Titel
- Soziale Netzwerke und gesundheitliche Ungleichheiten
- Untertitel
- Eine neue Perspektive für die Forschung
- Autoren
- Andreas Klärner
- Markus Gamper
- Sylvia Keim-Klärner
- Irene Moor
- Holger von der Lippe
- Herausgeber
- Nico Vonneilich
- Verlag
- Springer VS
- Ort
- Wiesbaden
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-658-21659-7
- Abmessungen
- 14.5 x 21.0 cm
- Seiten
- 436
- Kategorie
- Medien
Inhaltsverzeichnis
- Soziale Netzwerke und gesundheitliche Ungleichheiten – eine neue Perspektive für die Forschung 1
- Theoretische und methodische GrundlagenSoziale Beziehungen, soziales Kapital und sozialeNetzwerke – eine begriffliche Einordnung 33
- Netzwerktheorie(n) – Ein Überblick 49
- Wirkmechanismen in sozialen Netzwerken 65
- Negative Beziehungsaspekte und gesundheitliche Ungleichheiten 87
- Netzwerkanalyse – eine methodische Annäherung 109
- Soziale Netzwerke, familiales Sozialkapital und kindliche Gesundheit 137
- Soziale Netzwerke, Gesundheit und gesundheitliche Ungleichheiten im Jugendalter 163
- Soziale Netzwerke und gesundheitliche Ungleichheiten im jungen und mittleren Erwachsenenalter 193
- Soziale Netzwerke und gesundheitliche Ungleichheiten im Alter 227
- Ungleichheitsdimensionen Sozialer Status, soziale Beziehungen und Gesundheit 257
- Geschlecht und gesundheitliche Ungleichheiten – Soziale Netzwerke im Kontext von Gesundheit und Gesundheitsverhalten 273
- Arbeitslosigkeit, soziale Netzwerke und gesundheitliche Ungleichheiten 309
- Soziale Netzwerke und die Gesundheit von Alleinerziehenden 329
- Soziale Netzwerke und Behinderung – Zugang und Stabilisierung der Einbindung in den allgemeinen Arbeitsmarkt 347
- Migration als gesundheitliche Ungleichheitsdimension? Natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit, Gesundheit und soziale Netzwerke 369