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156 D. Lois
die „echte“ Netzwerkanalysen (z. B. egozentrierte Studien) durchführen, im vor-
liegenden Kontext selten.
Bei einer Kausalinterpretation der referierten Befunde ist in einigen Fällen auf
Alternativerklärungen hinzuweisen. So wird z. B. von Martin (2008) ausgeführt,
dass der Zusammenhang zwischen dem Gewicht der Eltern und ihrer Kinder zu
einem großen Anteil auf genetische Faktoren zurückzuführen ist – zum einen
dadurch, dass sich die physiologischen Voraussetzungen für das Körpergewicht
vererben und zum anderen auch dadurch, dass Prädispositionen für bestimmte
Lebensstilmerkmale (z. B. physische Aktivität) zum Teil genetisch bedingt sind.
Wird diese genetische Störgröße im Rahmen einer Zwillingsstudie5 statistisch
kontrolliert, zeigt sich, dass sozial verursachte Lebensstilfaktoren sowohl an
Erklärungskraft verlieren (Mediation) als auch an Bedeutung gewinnen können,
d. h. durch genetische Faktoren bivariat verdeckt werden (Suppression). In den
hier besprochenen Studien wird in der Regel nicht für genetische Faktoren kont-
rolliert, wodurch sich zum Teil Interpretationsprobleme ergeben.
Schultz et al. (2009) gehen ferner der Frage nach, ob die kindliche Gesund-
heit einen Effekt auf das Sozialkapital der Eltern hat. Ließen sich Hinweise auf
eine derartige umgekehrte Kausalität finden, würde dies die referierten Befunde
in ihrer bisherigen Lesart zum Teil in Zweifel stellen. Empirisch zeigt sich aller-
dings in einer Studie von Eltern, die ab Geburt in einem Dreijahreszeitraum
beobachtet werden, dass mehr oder weniger ernsthafte gesundheitliche Probleme
des Babys (z. B. geringes Geburtsgewicht, Behinderungen) im Sinne eines exo-
genen Schocks, der durch die elterlichen Verhaltensweisen nicht selbst herbei-
geführt wurde, keinen Effekt auf verschiedene Sozialkapitalindikatoren (z. B.
Häufigkeit des Besuchs bei Verwandten, Kirchgangshäufigkeit und Aktivität in
Organisationen) haben.
Im Hinblick auf die theoretischen Mechanismen ist festzustellen, dass ein
expliziter Test bisher am ehesten für den Mechanismus der sozialen Unter-
stützung erfolgt ist. Während das Unterstützungspotenzial aus dem Netzwerk
in einer Reihe von Studien durch spezifische Indikatoren facettenreich erhoben
wird, fehlen ausgereifte Messinstrumente und Forschungsdesigns für die
Mechanismen der sozialen Kontrolle oder der sozialen Ansteckung weitgehend.
Hier besteht weiterhin großer Forschungsbedarf.
Ein weiterer interessanter Aspekt betrifft schließlich das Wechselverhält-
nis zwischen informeller sozialer Unterstützung in sozialen Netzwerken und
5Mehrgruppenvergleiche in Strukturgleichungsmodellen mit monozygotischen und
dizygotischen Zwillingen.
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Buch Soziale Netzwerke und gesundheitliche Ungleichheiten - Eine neue Perspektive für die Forschung"
Soziale Netzwerke und gesundheitliche Ungleichheiten
Eine neue Perspektive für die Forschung
- Titel
- Soziale Netzwerke und gesundheitliche Ungleichheiten
- Untertitel
- Eine neue Perspektive für die Forschung
- Autoren
- Andreas Klärner
- Markus Gamper
- Sylvia Keim-Klärner
- Irene Moor
- Holger von der Lippe
- Herausgeber
- Nico Vonneilich
- Verlag
- Springer VS
- Ort
- Wiesbaden
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-658-21659-7
- Abmessungen
- 14.5 x 21.0 cm
- Seiten
- 436
- Kategorie
- Medien
Inhaltsverzeichnis
- Soziale Netzwerke und gesundheitliche Ungleichheiten – eine neue Perspektive für die Forschung 1
- Theoretische und methodische GrundlagenSoziale Beziehungen, soziales Kapital und sozialeNetzwerke – eine begriffliche Einordnung 33
- Netzwerktheorie(n) – Ein Überblick 49
- Wirkmechanismen in sozialen Netzwerken 65
- Negative Beziehungsaspekte und gesundheitliche Ungleichheiten 87
- Netzwerkanalyse – eine methodische Annäherung 109
- Soziale Netzwerke, familiales Sozialkapital und kindliche Gesundheit 137
- Soziale Netzwerke, Gesundheit und gesundheitliche Ungleichheiten im Jugendalter 163
- Soziale Netzwerke und gesundheitliche Ungleichheiten im jungen und mittleren Erwachsenenalter 193
- Soziale Netzwerke und gesundheitliche Ungleichheiten im Alter 227
- Ungleichheitsdimensionen Sozialer Status, soziale Beziehungen und Gesundheit 257
- Geschlecht und gesundheitliche Ungleichheiten – Soziale Netzwerke im Kontext von Gesundheit und Gesundheitsverhalten 273
- Arbeitslosigkeit, soziale Netzwerke und gesundheitliche Ungleichheiten 309
- Soziale Netzwerke und die Gesundheit von Alleinerziehenden 329
- Soziale Netzwerke und Behinderung – Zugang und Stabilisierung der Einbindung in den allgemeinen Arbeitsmarkt 347
- Migration als gesundheitliche Ungleichheitsdimension? Natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit, Gesundheit und soziale Netzwerke 369