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206 H. von der Lippe und O. Reis
Dies betrifft insbesondere traditionelle und rurale Gesellschaften und ärmere
soziale Schichten in industrialisierten Gesellschaften. Besondere Relevanz hat die
empty nest-Situation daher beispielsweise in China, wo sie auch breit diskutiert
wird (Wan et al. 2008). Dort sind Kinder nach wie vor eine wesentliche Quelle
der Unterstützung Älterer und damit ihrer Gesundheit. Als Folge der jahrzehnte-
lang verfolgten Ein-Kind-Politik und kaum vorhandener Wohlfahrt müssen zwei
erwerbstätige Erwachsene die Kosten für vier Ältere und ein Kind erwirtschaften
(eine sogenannte 4–2-1-Familienkonstellation; Wan et al. 2008). Darüber hinaus
macht die massenhafte Abwanderung erwachsener Kinder in die Städte vor allem
das Alter auf dem Lande zu einem gesundheitlichen Hochrisiko (Liu und Guo
2008).
In stärker industrialisierten Ländern hat sich hingegen der Zeitpunkt des Aus-
zuges nicht nur nach hinten verlagert (Beaupré et al. 2006); es wird auch der
Wiedereinzug erwachsener Kinder zunehmend diskutiert. In „crowded nests“
wohnen erwachsene Kinder neben ihren Eltern, wenn die Kinder beispielsweise
aufgrund abnehmender Reallöhne oder zyklischer Wirtschaftskrisen nicht genug
Ressourcen haben, einen eigenen Haushalt zu gründen. Hier treffen die „Boom-
ers“ auf die „Boomerangers“4. Für Europa liegen hierzu nur wenige Daten vor,
die jedoch zeigen, dass es neben kulturellen auch sozioökonomische Faktoren
zu geben scheint, die einen Wiedereinzug erwachsener Kinder in das Elternhaus
und verlängerten Elternnutzen wahrscheinlicher machen (Kleinepier et al. 2017).
Sowohl Auszüge als auch Gründungen eigener Haushalte werden in Industrie-
gesellschaften mit hoher Jugendarbeitslosigkeit und/oder hohen Heiratshürden
zunehmend problematisch (Mínguez 2016; South und Lei 2015). Das Zusammen-
leben mit erwachsenen Kindern scheint der Lebenszufriedenheit wiederum eher
abträglich zu sein und einen relevanten psychischen Stressor darzustellen (Poll-
mann-Schult 2011). Hier soll nur festgehalten werden, dass sozioökonomischer
Wandel und finanzielle Ressourcen das Timing und die Art der Übergänge nach-
haltig beeinflussen. Damit wird ein weiterer Mechanismus deutlich, über den sich
soziale auf die gesundheitliche Ungleichheit auswirken kann.
4Dieses im angelsächsischen Sprachraum gebräuchliche Wortspiel meint, dass die Eltern
aus der Baby-Boomer-Generation (in Deutschland die Mitte der 1950er bis Ende der
1960er Jahre geborenen Personen) ihre Kinder zunehmend häufiger und länger im elter-
lichen Haushalt behalten, oft als „Rückkehrer“ (boomerang) nach fehlgeschlagenen Aus-
zugsversuchen.
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Buch Soziale Netzwerke und gesundheitliche Ungleichheiten - Eine neue Perspektive für die Forschung"
Soziale Netzwerke und gesundheitliche Ungleichheiten
Eine neue Perspektive für die Forschung
- Titel
- Soziale Netzwerke und gesundheitliche Ungleichheiten
- Untertitel
- Eine neue Perspektive für die Forschung
- Autoren
- Andreas Klärner
- Markus Gamper
- Sylvia Keim-Klärner
- Irene Moor
- Holger von der Lippe
- Herausgeber
- Nico Vonneilich
- Verlag
- Springer VS
- Ort
- Wiesbaden
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-658-21659-7
- Abmessungen
- 14.5 x 21.0 cm
- Seiten
- 436
- Kategorie
- Medien
Inhaltsverzeichnis
- Soziale Netzwerke und gesundheitliche Ungleichheiten – eine neue Perspektive für die Forschung 1
- Theoretische und methodische GrundlagenSoziale Beziehungen, soziales Kapital und sozialeNetzwerke – eine begriffliche Einordnung 33
- Netzwerktheorie(n) – Ein Überblick 49
- Wirkmechanismen in sozialen Netzwerken 65
- Negative Beziehungsaspekte und gesundheitliche Ungleichheiten 87
- Netzwerkanalyse – eine methodische Annäherung 109
- Soziale Netzwerke, familiales Sozialkapital und kindliche Gesundheit 137
- Soziale Netzwerke, Gesundheit und gesundheitliche Ungleichheiten im Jugendalter 163
- Soziale Netzwerke und gesundheitliche Ungleichheiten im jungen und mittleren Erwachsenenalter 193
- Soziale Netzwerke und gesundheitliche Ungleichheiten im Alter 227
- Ungleichheitsdimensionen Sozialer Status, soziale Beziehungen und Gesundheit 257
- Geschlecht und gesundheitliche Ungleichheiten – Soziale Netzwerke im Kontext von Gesundheit und Gesundheitsverhalten 273
- Arbeitslosigkeit, soziale Netzwerke und gesundheitliche Ungleichheiten 309
- Soziale Netzwerke und die Gesundheit von Alleinerziehenden 329
- Soziale Netzwerke und Behinderung – Zugang und Stabilisierung der Einbindung in den allgemeinen Arbeitsmarkt 347
- Migration als gesundheitliche Ungleichheitsdimension? Natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit, Gesundheit und soziale Netzwerke 369