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Netzwerke und gesundheitliche Ungleichheiten …
erlebt, dass durch den Rückzug die soziale Kontrolle, etwa durch Kollegen und
Vorgesetzte, reduziert werde, was eine Befreiung von Alltagsnormen mit sich
bringe. Nur in jenen Fällen, in denen keine alternativen sozialen Rollen wie z. B.
in Form des Ehrenamtes zur Verfügung ständen, würde die Reduktion der Zahl
oder der Unterschiedlichkeit sozialer Kontakte als Krise erlebt werden. Die empi-
rische Evidenz dieser Theorie ist gering. Zwar entfallen mit dem Ende der Berufs-
tätigkeit und durch Witwenschaft in der Tat wichtige soziale Rollen, dafür werden
jedoch bestehende soziale Kontakte, etwa zu Kindern, Enkelkindern und Nachbarn
nicht etwa gelockert, sondern im Gegenteil, häufig intensiviert. Ein freiwillig ini-
tiierter Rückzug aus sozialen Bindungen bei guter Gesundheit im Alter ist nicht
typisch (Maddox und Eisdorfer 1972; Neugarten et al. 1969; Shanas et al. 1968).
Als Gegenentwurf zur Disengagement-Theorie kann die Aktivitätstheorie
betrachtet werden. Sie besagt, dass eine gute Lebenszufriedenheit im Alter nur
durch fortgesetzte soziale Aktivität, das Beibehalten von Interaktionen bzw. eines
aktiven Lebensstils erreicht werden könne. Dem altersbedingten Wegfall sozialer
Rollen (z. B. Berufstätigkeit) und sozialer Aktivitäten sei mit der Aufnahme neuer
Aktivitäten (z. B. Ehrenamt) zu begegnen (Tartler 1961). Dieser Zusammenhang
zwischen Aktivität und Zufriedenheit im Alter ist empirisch gut gesichert (Adams
et al. 2011; Katz 1996; Lemon et al. 1972).
Nach der zur Rational Choice Theory gehörigen Theorie des sozialen Aus-
tauschs kommen Interaktionen durch den über Normen geregelten Austausch
von sozialen Gütern (instrumentelle, emotionale und materielle) zustande. Als
zentral wird die Reziprozitätsnorm betrachtet. Mit Bezug auf das Alter geht die
Theorie davon aus, dass ältere Menschen zunehmend weniger Ressourcen wie
soziale Position, Geld und Gesundheit aufwiesen und dadurch für potenzielle
Tauschpartner an Attraktivität verlören (Bengtson und Dowd 1981). Auswege
aus dem drohenden Ungleichgewicht zwischen Nehmen und Geben werden in
der Konzentration auf jene Interaktionspartner gesehen, mit denen Reziprozi-
tät möglich ist, sei es durch gezielte Selektion bestehender oder Aufnahme
neuer Beziehungen, was letztlich als positiv für das Wohlbefinden erachtet wird.
Die Kritik gegenüber dieser Theorie richtet sich v. a. auf die Schwierigkeit, die
Annahmen empirisch zu überprüfen, da „soziale Güter“ individuell sehr Unter-
schiedliches bedeuten können. Zudem hängt die Interpretation von Reziprozität
auch von der Qualität und Bedeutung sozialer Beziehungen ab. Diese aber bleiben
in der Theorie des sozialen Austauschs unberücksichtigt (Tesch-Römer 2010).
Spezifisch auf die Beziehungen zwischen Eltern im höheren bzw. hohen
Alter und ihren erwachsenen Kindern sind das Modell der intergenerationalen
Solidarität (Bengtson und Roberts 1991) und das Modell der intergenerationalen
Ambivalenz (Lüscher 2000) ausgerichtet. Ersteres fokussiert die wechselseitige
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Buch Soziale Netzwerke und gesundheitliche Ungleichheiten - Eine neue Perspektive für die Forschung"
Soziale Netzwerke und gesundheitliche Ungleichheiten
Eine neue Perspektive für die Forschung
- Titel
- Soziale Netzwerke und gesundheitliche Ungleichheiten
- Untertitel
- Eine neue Perspektive für die Forschung
- Autoren
- Andreas Klärner
- Markus Gamper
- Sylvia Keim-Klärner
- Irene Moor
- Holger von der Lippe
- Herausgeber
- Nico Vonneilich
- Verlag
- Springer VS
- Ort
- Wiesbaden
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-658-21659-7
- Abmessungen
- 14.5 x 21.0 cm
- Seiten
- 436
- Kategorie
- Medien
Inhaltsverzeichnis
- Soziale Netzwerke und gesundheitliche Ungleichheiten – eine neue Perspektive für die Forschung 1
- Theoretische und methodische GrundlagenSoziale Beziehungen, soziales Kapital und sozialeNetzwerke – eine begriffliche Einordnung 33
- Netzwerktheorie(n) – Ein Überblick 49
- Wirkmechanismen in sozialen Netzwerken 65
- Negative Beziehungsaspekte und gesundheitliche Ungleichheiten 87
- Netzwerkanalyse – eine methodische Annäherung 109
- Soziale Netzwerke, familiales Sozialkapital und kindliche Gesundheit 137
- Soziale Netzwerke, Gesundheit und gesundheitliche Ungleichheiten im Jugendalter 163
- Soziale Netzwerke und gesundheitliche Ungleichheiten im jungen und mittleren Erwachsenenalter 193
- Soziale Netzwerke und gesundheitliche Ungleichheiten im Alter 227
- Ungleichheitsdimensionen Sozialer Status, soziale Beziehungen und Gesundheit 257
- Geschlecht und gesundheitliche Ungleichheiten – Soziale Netzwerke im Kontext von Gesundheit und Gesundheitsverhalten 273
- Arbeitslosigkeit, soziale Netzwerke und gesundheitliche Ungleichheiten 309
- Soziale Netzwerke und die Gesundheit von Alleinerziehenden 329
- Soziale Netzwerke und Behinderung – Zugang und Stabilisierung der Einbindung in den allgemeinen Arbeitsmarkt 347
- Migration als gesundheitliche Ungleichheitsdimension? Natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit, Gesundheit und soziale Netzwerke 369