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234 B. Müller und L. Ellwardt
deutlich ausgeprägter als bei der „Allgemeinbildung“ (Finkel et al. 2007;
Reischies und Lindenberger 2010).
Wenn die Abnahme pathologisch verläuft, also über eine normale alters-
bedingte Abnahme der kognitiven Leistungsfähigkeiten hinausgeht, und
medizinisch diagnostiziert ist, spricht man von Demenz. Demenz ist eine psych-
iatrische Kondition, die bei degenerativen und nichtdegenerativen Erkrankungen
des Gehirns auftritt. Die Krankheit, die am häufigsten mit Symptomen der
Demenz einhergeht, ist die Alzheimer-Krankheit. Charakteristisch für Demenz
sind starke Beeinträchtigungen der Gedächtnisleistung (besonders des Kurzzeit-
gedächtnisses), der Sprache, der Motorik und manchmal der Persönlichkeits-
struktur. Das Demenzrisiko steigt mit dem Alter exponentiell an. So beträgt
die Prävalenz der Demenz vom Alzheimertyp bei der Gruppe der 60-Jährigen
schätzungsweise ein Prozent und verdoppelt sich danach alle fünf Jahre (Ferri
et al. 2005). Ab dem 85. Lebensjahr ist das Risiko bereits drastisch erhöht
und misst etwa 25 %. Die kognitiven Verläufe und das Risiko, an Demenz zu
erkranken, eine mögliche, aber nicht zwingende Folge eines ungünstigen Ver-
laufs, sind durch eine Vielzahl sozialer und sozioökonomischer Faktoren bedingt
(Müller und Kropp 2011, 2012).
Der diesbezüglich wohl stärkste Faktor ist Intelligenz bzw. intellektuelle
Kapazität, in Surveys häufig gemessen am Bildungsabschluss. Die Hypothese
der kognitiven Reserve (Liberati et al. 2012; Scarmeas und Stern 2003) geht
davon aus, dass Personen mit einem höheren Bildungsabschluss über ein größe-
res Repertoire an Bewältigungsstrategien verfügen, die die Abnahme an kogniti-
ven Funktionsfähigkeiten im Alter hinauszögern und abmindern, als Personen mit
niedrigerem Bildungsabschluss. Dies beinhaltet, dass eher alternative Regionen im
Gehirn aktiviert werden können, die bei Bedarf die Funktionen weniger leistungs-
fähiger, von Demenz oder Alzheimer betroffener Regionen übernehmen. Nicht
Bildung per se, sondern das damit assoziierte intellektuelle Anregungspotenzial
des sozialen und beruflichen Umfeldes werden als Erklärung dafür herangezogen
(Gow et al. 2012; Lee und Chi 2016; Then et al. 2013; Wang et al. 2012).
Die Assoziation zwischen Bildung und Demenzrisiko ist empirisch viel-
fach belegt: Laut einer Metaanalyse über 69 Studien haben ältere Menschen mit
einem niedrigen Bildungsabschluss ein 1,61-mal so hohes Risiko, an Demenz
zu erkranken, wie ältere Menschen mit einer hohen Bildung (Meng und D’Arcy
2012). Ein interessanter Befund ist der sogenannte Hürdeneffekt: Größere kogni-
tive Reserven zögern die Diagnose einer Demenz zwar hinaus, setzt die Demenz
jedoch erst einmal ein, verläuft sie schneller als bei geringeren Reserven. Dies
kommt dadurch, dass die kompensatorischen Prozesse der kognitiven Reserve
die stattfindende Abnahme kognitiver Funktionen lange maskieren. Bis die
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Buch Soziale Netzwerke und gesundheitliche Ungleichheiten - Eine neue Perspektive für die Forschung"
Soziale Netzwerke und gesundheitliche Ungleichheiten
Eine neue Perspektive für die Forschung
- Titel
- Soziale Netzwerke und gesundheitliche Ungleichheiten
- Untertitel
- Eine neue Perspektive für die Forschung
- Autoren
- Andreas Klärner
- Markus Gamper
- Sylvia Keim-Klärner
- Irene Moor
- Holger von der Lippe
- Herausgeber
- Nico Vonneilich
- Verlag
- Springer VS
- Ort
- Wiesbaden
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-658-21659-7
- Abmessungen
- 14.5 x 21.0 cm
- Seiten
- 436
- Kategorie
- Medien
Inhaltsverzeichnis
- Soziale Netzwerke und gesundheitliche Ungleichheiten – eine neue Perspektive für die Forschung 1
- Theoretische und methodische GrundlagenSoziale Beziehungen, soziales Kapital und sozialeNetzwerke – eine begriffliche Einordnung 33
- Netzwerktheorie(n) – Ein Überblick 49
- Wirkmechanismen in sozialen Netzwerken 65
- Negative Beziehungsaspekte und gesundheitliche Ungleichheiten 87
- Netzwerkanalyse – eine methodische Annäherung 109
- Soziale Netzwerke, familiales Sozialkapital und kindliche Gesundheit 137
- Soziale Netzwerke, Gesundheit und gesundheitliche Ungleichheiten im Jugendalter 163
- Soziale Netzwerke und gesundheitliche Ungleichheiten im jungen und mittleren Erwachsenenalter 193
- Soziale Netzwerke und gesundheitliche Ungleichheiten im Alter 227
- Ungleichheitsdimensionen Sozialer Status, soziale Beziehungen und Gesundheit 257
- Geschlecht und gesundheitliche Ungleichheiten – Soziale Netzwerke im Kontext von Gesundheit und Gesundheitsverhalten 273
- Arbeitslosigkeit, soziale Netzwerke und gesundheitliche Ungleichheiten 309
- Soziale Netzwerke und die Gesundheit von Alleinerziehenden 329
- Soziale Netzwerke und Behinderung – Zugang und Stabilisierung der Einbindung in den allgemeinen Arbeitsmarkt 347
- Migration als gesundheitliche Ungleichheitsdimension? Natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit, Gesundheit und soziale Netzwerke 369