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7Kapitel
Er versuchte natürlich trotzdem von Zeit zu Zeit, Tonka das Geständnis zu
entreißen; dazu war er ja ein Mann und kein Narr. Aber sie ging damals in ein
großes häßliches Geschäft, das in einem Arbeiterviertel lag; morgens mußte
sie um sieben Uhr dort sein und abends verließ sie es – oft wegen einiger
Pfennige, die ein verspäteter Kunde hineintrug – nicht vor halb zehn; sie sah
die Sonne nicht, nachts schliefen sie getrennt, und man ließ ihnen keine Zeit
für ihre Seele. Sie mußten selbst für dieses dürftige Leben bangen, wenn man
die Schwangerschaft merkte, denn sie waren damals schon
in Geldverlegenheit geraten; er hatte die Mittel für seine Studien verbraucht
und Geld zu verdienen war er nicht imstande; es ist das am Anfang einer
wissenschaftlichen Laufbahn besonders schwer, und er war der Lösung seiner
Aufgabe, ohne sie schon erreicht zu haben, so nahe gekommen, daß er aller
Kraft für das letzte Erreichen bedurfte. Tonka war bei diesem Leben ohne
Licht und voll Sorgen hingewelkt und sie verblühte natürlich nicht schön wie
manche Frauen, die Berauschendes ausströmen, wenn sie verfallen, sondern
sie welkte unscheinbar wie ein kleines Küchenkraut, das gilbt und häßlich
wird, sobald die Frische seines Grüns verloren ist. Ihre Wangen blaßten und
fielen ein, dadurch sprang die Nase groß aus dem Gesicht, der Mund erschien
breit und sogar die Ohren standen etwas weg; auch der Körper magerte ab,
und wo früher biegsame Fülle des Fleisches gewesen war, blickte jetzt ein
ländlicher Knochenbau durch. Er, dessen wohlerzogenes Gesicht dem
Kummer besser widerstand und dessen Vorrat an guten Kleidern länger
vorhielt, merkte, wenn er mit ihr ausging, den erstaunten Blick manches
Vorübereilenden. Und weil er nicht ohne Eitelkeit war, brachte es ihn gegen
Tonka auf, daß er ihr keine schönen Kleider kaufen konnte; er war wegen
ihrer Dürftigkeit, an der er die Schuld trug, böse auf sie, aber wahrhaftig, er
hätte ihr, wenn er gekonnt hätte, zuvor schöne wolkige Umstandskleider
geschenkt und sie dann erst zur Rede gestellt wegen ihrer Untreue. Sobald er
versuchte, ihr das Geständnis zu entreißen, leugnete Tonka. Sie wußte nicht,
wie es gekommen war. Wenn er um ihrer alten Freundschaft willen bat, ihn
doch nicht zu belügen, trat ein gequälter Zug in ihr Gesicht, und wenn er
heftig wurde, sagte sie bloß, sie lüge nicht, und was sollte man da noch tun?
Hätte er sie prügeln und beschimpfen sollen oder sie in ihrer furchtbaren Lage
verlassen? Er schlief nicht mehr bei ihr, aber auf die Folter gelegt, hätte sie
nichts bekannt, schon deshalb nicht, weil sie kein Wort über die Lippen
brachte, seit sie sein Mißtrauen merkte, und dieser törichte Eigensinn war, seit
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Buch Tonka"
Tonka
- Titel
- Tonka
- Autor
- Robert Musil
- Datum
- 1922
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.8 cm
- Seiten
- 46
- Kategorien
- Weiteres Belletristik