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Vertrag wirksam zurückgetreten ist, und zwar unabhängig davon, ob er
die Leistungsstörung zu vertreten hat oder nicht. Dass ihn an einer pande-
miebedingten Unmöglichkeit oder Verzögerung der Leistung ebenso we-
nig die Schuld trifft wie den Gläubiger, hilft ihm nicht, sondern bewahrt
ihn lediglich vor ĂĽber den Verlust der VergĂĽtung hinausgehenden Scha-
densersatzansprĂĽchen.
In Lieferketten fĂĽhrt die geltende Rechtslage dazu, dass eine Leistungs-
störung am Beginn der Lieferkette, die in den nachgelagerten Vertragsbe-
ziehungen ebenfalls zu Leistungsstörungen führt, zur Folge hat, dass eine
Reihe von Unternehmen als Gläubiger zwar die ausfallenden Leistungen
ihrer Lieferanten nicht bezahlen muss, gleichzeitig als Schuldner aber
auch keine Vergütung von ihren Kunden erhält. Am Ende der Lieferkette
steht eine Vielzahl von Gläubigern (häufig Verbrauchern), die keine Leis-
tung erhalten, aber auch keine Gegenleistung erbringen mĂĽssen bzw. eine
bereits erbrachte Gegenleistung zurück verlangen können.
Dagegen ist das Risiko, dass innerhalb einer vertraglichen Beziehung
eine Leistung erbracht wird, die der Gläubiger – etwa aufgrund einer vo-
rübergehenden Schließung seines Betriebs – nicht verwenden kann, dem
Gläubiger zugewiesen. Nur in Ausnahmefällen kommt ein Anspruch des
Gläubigers auf Vertragsanpassung oder ein Rücktrittsrecht wegen einer
Störung der Geschäftsgrundlage nach §313 BGB in Betracht. Die Ge-
schäftsgrundlagenstörung kann nämlich nur den Inhalt eines konkreten
Vertrags, nicht aber die vertragliche oder gesetzliche Risikoverteilung als
solche ändern oder korrigieren.29 §313 Abs.1 BGB betont deshalb aus-
drücklich, dass die Zumutbarkeit des Festhaltens am unveränderten Ver-
trag unter BerĂĽcksichtigung der Risikoverteilung zu beurteilen ist, die sich
aus dem Vertrag oder aus dem Gesetz ergibt.
Diese Risikoverteilung ist unter „normalen“ Umständen ohne weiteres
sachgerecht: Leistungsstörungen haben ihre Ursache in der Sphäre des
Schuldners, sie sind für den Schuldner beherrschbar und vermeidbar – zu-
mindest eher beherrschbar und vermeidbar als für den Gläubiger, der sie
überhaupt nicht beeinflussen kann. So kann beispielsweise der Verkäufer
einer Ware, die von seinem Vorlieferanten nicht ausgeliefert wird, seine
Bezugsquelle wechseln; er kann eine defekte Maschine, die zu einem Pro-
duktionsausfall und in der Folge zu einer Lieferverzögerung führt, reparie-
ren oder auswechseln, oder er kann sich gegen derartige Szenarien versi-
chern. Folgerichtig weist das Gesetz dem Gläubiger das Risiko der Leis-
tungsstörung nur ganz ausnahmsweise zu – nämlich wenn er für die Leis-
29 Vgl. MüKoBGB/T. Finkenauer, 8.Aufl. 2019, BGB §313 Rn.69 und Rn.208.
Caspar Behme
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https://doi.org/10.5771/9783748909279, am 02.10.2020, 12:06:58
Open Access - - https://www.nomos-elibrary.de/agb
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Buch Vertragsrecht in der Coronakrise"
Vertragsrecht in der Coronakrise
- Titel
- Vertragsrecht in der Coronakrise
- Autor
- Daniel Effer-Uhe
- Herausgeber
- Alica Mohnert
- Ort
- Baden-Baden
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-7489-0927-9
- Abmessungen
- 15.3 x 22.7 cm
- Seiten
- 258
- Kategorien
- Coronavirus
- Recht und Politik
Inhaltsverzeichnis
- Corona und das Allgemeine Leistungsstörungsrecht 11
- Wegfall der Geschäftsgrundlage als Antwort des Zivilrechts auf krisenbedingte Vertragsstörungen? - Systemerwägungen zu §313 BGB und sachgerechter Einsatz in der Praxis - 47
- Verbraucher- und Gläubigerrechte in der Corona-Krise –Ausweitung oder Einschränkung? 73
- Die vertragsrechtlichen Regelungen in Art.240 EGBGB: Voraussetzungen, Rechtsfolgen, offene Fragen 95
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