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Was bewirkt nun die Corona-Einrede? Kann S Leistungen gem. Art.240
§1 Abs.1 EGBGB verweigern? Verträge über die Lieferung von Strom,
Gas, Telekommunikationsdiensten und Wasserver- und ‑entsorgung sind
wie gesagt vom Begriff des wesentlichen Dauerschuldverhältnisses in
Art.240 §1 Abs.1 S.3 EGBGB erfasst. Dazu kommen die Pflichtversiche-
rungen.49 Als Selbständige muss sich S privat krankenversichern, §193
Abs.3 VVG. Dasselbe gilt nach §23 SGBXI für die Pflegeversicherung. Für
ihr Auto und den Hund, der nach §2 LHundG NRW als gefährlich einge-
stuft wird, muss S eine Haftpflichtversicherung haben (§1 PflVG und §5
Abs.5 LHundG NRW).
Ob infolge der Unterrichtsausfälle der angemessene Lebensunterhalt
der S gefährdet ist, steht auf einem anderen Blatt. Für die Beantwortung
dieser Frage sind nach hier vertretener Auffassung die Maßstäbe heranzu-
ziehen, die für §1360a BGB entwickelt wurden. Wenn S noch einige ihrer
Rechnungen bezahlen kann, ohne ihren Unterhalt zu gefährden, darf sie
nach hier vertretener Ansicht frei entscheiden, wessen Forderungen sie
weiter bedient.
Die Unterhaltsgefährdung der S muss auf der COVID-19-Pandemie be-
ruhen. Das ist wegen des Tätigkeitsverbots der Fall. Schwieriger ist der Fall
zu beurteilen, dass S ihre Tätigkeit zwar noch ausüben darf, die Schüler
aber keinen Unterricht mehr nehmen, weil sie Angst vor einer Ansteckung
haben oder selbst unter Quarantäne stehen. Im Streitfall muss S beweisen,
dass ihr Verdienstausfall gerade auf der Pandemie beruht. Man müsste S
also empfehlen, für alle Absagen um eine Begründung per E-Mail oder
Brief zu bitten. Wenn S selbst unter Quarantäne stünde und deshalb nicht
mehr unterrichten könnte, sähe die Sache noch anders aus. Dann hätte sie
Anspruch auf eine Entschädigung in Höhe ihres Verdienstausfalls nach
§56 IfSG. Folglich gäbe es gar keine pandemiebedingte Unterhaltsgefähr-
dung.
Die Gläubiger sind wahrscheinlich Stadtwerke oder große Unterneh-
men. Das Ausbleiben von S’ Zahlungen für zwei oder drei Monate dürfte
diese Gläubiger nicht in wirtschaftliche Schwierigkeiten bringen und ih-
nen damit nicht unzumutbar i.S.d. Art.240 §1 Abs.3 S.1 EGBGB sein.
49 Überblick auf der Website der BaFin: https://www.bafin.de/SharedDocs/
Downloads/DE/Liste/dl_li_vu_vers_mit_avbpflicht.pdf?__blob=publicationFile&v=4
(zuletzt abgerufen am 6.6.2020).
Ann-Marie Kaulbach und Bernd Scholl
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https://doi.org/10.5771/9783748909279, am 02.10.2020, 12:06:58
Open Access - - https://www.nomos-elibrary.de/agb
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Buch Vertragsrecht in der Coronakrise"
Vertragsrecht in der Coronakrise
- Titel
- Vertragsrecht in der Coronakrise
- Autor
- Daniel Effer-Uhe
- Herausgeber
- Alica Mohnert
- Ort
- Baden-Baden
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-7489-0927-9
- Abmessungen
- 15.3 x 22.7 cm
- Seiten
- 258
- Kategorien
- Coronavirus
- Recht und Politik
Inhaltsverzeichnis
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