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Der Anfang der Wandlung Israels 187
äußern … Die Herrn in London würden endlich doch die Stimmung im Lande erken-
nen. Schließlich ist keine Politik ewig, nicht wahr ?
Hinter den englischen Offizieren, die nach Syrien lugten, standen anglikanische
Missionäre, die den Mohammedanern gepredigt hatten, Feldmarschall Allenbys Sieg
über die viermal schwächeren Türken und ihre deutschen und österreichischen Ver-
bündeten sei Triumph eines Kreuzzuges gegen den Islam, und die jetzt missmutig erklä-
ren sollten, wie aus dem anglikanischen Kreuzzug eine Rückkehr der Juden werde. Die
Missionäre, die Offiziere, die politischen Agenten bohrten und bohrten, und die Juden
Palästinas spürten den Wind, der aus den britischen Ämtern wehte. Mit eisigem Miss-
trauen standen sie plötzlich ihren Beschützern gegenüber. Eldad Schu’al schätzte kri-
tisch das Bollwerk am Jaffator, betrachtete den Union-Jack am Flaggenmast und wie-
derholte das Gebet des großen Rebellen Bar Kochba im Stillen : »Herr Gott ! schütze
uns vor unseren Freunden – mit unseren Feinden werden wir dann schon allein fertig
werden !«65
»Hallo, Genosse !«, rief ihn einer an. Schu’al drehte sich um und erkannte Harzwi,
den anarchistischen und pazifistischen Steinbrucharbeiter, der mit ausgebreiteten Ar-
men auf ihn zukam : »Was machst du hier in Jerusalem ? Was hört man Neues ?« El-
dad Schu’al freute sich. Seit dem tollen Streich mit den Handgranaten schätzte er den
starken Jungen. Er schüttelte herzlich die riesigen breiten Hände mit der steinharten
Haut und berichtete : »Sekretär soll ich werden, bei Kazprin. Man will eine neue, große
Arbeiterorganisation schaffen.«
Der Steinbrucharbeiter Harzwi, der daheim in Brest-Litowsk noch bescheiden
Hirschberg geheißen hatte, was genau das gleiche bedeutete, verzog die Mundwinkel.
»Sekretär ? Pfui !« Er spuckte verächtlich in den Staub. »Pakid ! Beamter
– Du ein freier
mutiger Mensch willst Beamter werden, willst fette Gehälter beziehen, statt ehrlich zu
arbeiten ! ?«
Eldad lachte. Er kannte die gehässige Verachtung des Frontsoldaten gegen den Etap-
penoffizier und verstand daher die Bitterkeit der Bauern, Arbeiter, Kolonisten des neuen
Palästina gegen den »Pakid«, den Parteibeamten, der im ruhigen Büro mit sicherem
65 Bonmot, das dem französischen Aufklärer Voltaire zugeschrieben wird. Weisl hat es offenbar in
Anlehnung an Heinrich Graetz, dessen Geschichte der Juden von den ältesten Zeiten bis auf die Ge-
genwart ihm als Hauptquelle seines Erlöser-Dramas diente (vgl. S. 18), dem Freiheitskämpfer Bar
Kochba als »Gebet« in den Mund gelegt, allerdings sinnverdrehend, denn bei Graetz (Bd. 4. Leip-
zig : Leiner 1908, S. 137) hat das Bar Kochba-Zitat einen anderen Wortlaut : »Herr, wenn du uns
nicht helfen willst, so hilf wenigstens unsern Feinden nicht, dann werden wir nicht unterliegen.« In
seinem Erlöser-Drama hat Weisl dieses Zitat nicht verwendet, in seinem Latrun-Journal wird es
jedoch wiederkehren (WL 495).
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Wolfgang von Weisl
Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
Erlöser - Der Anfang der Wandlung Israels
- Titel
- Wolfgang von Weisl
- Untertitel
- Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
- Herausgeber
- Dietmar Goltschnigg
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21056-6
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 362
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 7
- Abkürzungen und Zitierweise 11
- A. Kontexte, Aspekte, Kommentare 13
- Erlöser 13
- Einbürgerung Wolfgang von Weisls in British Palestine 22
- Arnold Zweig: De Vriendt kehrt heim … 23
- Der Anfang der Wandlung Israels 28
- B. Wolfgang von Weisl 51
- Erlöser. Ein ernstes Spiel von letzten Dingen 51
- C. Wolfgang von Weisl 143
- Der Anfang der Wandlung Israels. Roman 143
- D. Anhang 335
- 1. Zeittafel 335
- 2. Biographische Daten 341
- 3. Sachen, Begriffe, Orte, Glossar 346
- 4. Bibliographie 353
- 5. Personenregister 355