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190 C. Wolfgang von Weisl
Tommies68 mit Spazierstöckchen in Händen und
– zwischen ihnen, vor ihnen, hinter
ihnen, auf Bürgersteig und Fahrstraße – Araber. Araber ohne Ende. Fellachen, die
Gemüse in die Stadt bringen, mit kleinen weißen Baumwollmützchen auf dem kahl-
geschorenen Schädel. Beduinen hinter Lastkamelen, barfuß, mit geflochtenen Zöp-
fen bis auf die Brust herab ! Scheichs zu Pferde, in königlich wallender, goldgestickter
Abbaye, das Kopftuch verwegen zurückgeschlagen. Lastträger in zerlumpten Kha-
kihosen, die irgendein demobilisierter Soldat auf den Misthaufen geworfen hat und
die von dort wieder erstanden sind. Straßenjungen. Arabische Polizisten. Effendis in
tadellosen Straßenanzügen, die Jacke übertrieben in die Taille gearbeitet, die Bügel-
falte messerscharf – sie schlafen auf ihren Hosen, damit diese nur ja die Falte wah-
ren
– mit glänzenden Lackschuhen, Fliegenwedel in der Hand.
Harzwi ging unbekümmert durch diesen Menschenstrom. Er war beneidenswert
phantasielos, nahm nur wahr, was er wusste, nie das, was er sah. Harzwi »wusste« : In
Jerusalem waren die Juden in der Mehrheit, also wäre er nie darauf gekommen, dass
die Stadt trotzdem so aussah, als sei sie arabisch. Er starrte deshalb Eldad verständnis-
los an, als dieser mit leichtem Seufzer sagte : »Wenn in Europa eine Stadt ein Zehntel
Juden hat, sieht man überall nur Juden. Hier in Jerusalem sind wir mehr als die Hälfte,
aber man sieht uns nicht. Überall nur Araber !« – »Das kommt von ihrer Tracht. Wären
sie wie wir angezogen, würde man sie nicht bemerken«, antwortete Harzwi leichthin,
wich einem Hamal aus, einem Lastträger, der an ihm vorbei einen Berg von grünen
strohgeflochtenen Stühlen balancierte, bog vor einem Limonadenverkäufer zur Seite,
der »Tamar hindi – barad ! Tamarinden69 – kalt wie Eis !«, ausschrie, und wies auf ein
langgestrecktes, zweistöckiges Haus mit nüchterner Fassade, in dessen Erdgeschoss ein
Missionsverlag Bibeln in allen Dialekten der Welt ausbot.
»Malon Jus ! Das Hotel Jus ! Wie viel tausend Pfund, glaubst du, zahlen die Zionis-
ten den Arabern als Miete für dieses Hotel, statt ein ordentliches Hotel zu bauen und
jüdischen Arbeitern Brot zu geben ? Hier wirst du sitzen, Beamter Nummer 200 oder
so ähnlich …«
Eldad nickte, ohne hinzuhören. Betrachtete ernst das langgestreckte Gebäude, das
dem staubigen, verwahrlosten, kleinen »Stadtgarten« Jerusalems gegenüber lag. Das
Zentrum, wo in hundert starkgewebten Fäden der organisierte Lebenswille des neu-
erwachten Volkes zusammenfloss. Hier arbeiteten die Männer, die dem heimatlosen
Volk die Heimat öffnen sollten. Und jetzt sollte er mitarbeiten, die Tore Palästinas weit
aufzureißen, damit alle Armen und Elenden seines Stammes von den vier Enden der
Erde hereinströmen könnten.
68 Tommy : populäre Bezeichnung für britische Soldaten.
69 Tamarinden : immergrüner Dattelbaum.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Wolfgang von Weisl
Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
Erlöser - Der Anfang der Wandlung Israels
- Titel
- Wolfgang von Weisl
- Untertitel
- Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
- Herausgeber
- Dietmar Goltschnigg
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21056-6
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 362
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 7
- Abkürzungen und Zitierweise 11
- A. Kontexte, Aspekte, Kommentare 13
- Erlöser 13
- Einbürgerung Wolfgang von Weisls in British Palestine 22
- Arnold Zweig: De Vriendt kehrt heim … 23
- Der Anfang der Wandlung Israels 28
- B. Wolfgang von Weisl 51
- Erlöser. Ein ernstes Spiel von letzten Dingen 51
- C. Wolfgang von Weisl 143
- Der Anfang der Wandlung Israels. Roman 143
- D. Anhang 335
- 1. Zeittafel 335
- 2. Biographische Daten 341
- 3. Sachen, Begriffe, Orte, Glossar 346
- 4. Bibliographie 353
- 5. Personenregister 355