Seite - 194 - in Wolfgang von Weisl - Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
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194 C. Wolfgang von Weisl
Der blitzschnelle Blick Kazprins glitt über den jungen Mann, sah unter dem am Hals
geschlossenen Russenhemd die breiten Schultern und schmalen Hüften. Sah mit einem
Augenschlag die starken, behaarten Hände, die breiten bulldoggartigen Backenknochen,
die kantige, eigensinnige Stirn mit den großen Augen unter den flatternden Haaren.
Dann glätteten sich die Mienen des Parteiführers. Ein unterstrichen freundliches Lä-
cheln entblößte die gelbgerauchten Zähne, während er eine dünne Hand seinem neuen
Sekretär entgegenstreckte : »Steinberg hat Sie sehr empfohlen. Wir haben ungeheuer
viel zu tun, jetzt nach dem Beginn der Einwanderung. Ich hoffe, Sie werden mir ein zu-
verlässiger Helfer und Kamerad sein. Kommen Sie !«
Er packte Eldad am Arm und zog ihn, lebhaft auf ihn einredend, mit sich fort. Es
war dies eine der Methoden Kazprins, bei Gelegenheit Leutseligkeit und demokratische
Gleichheit zur Schau zu stellen. Darzutun, auch er sei nur ein einfacher Arbeiter und
throne nicht über den Wolken.
Eldad empfand die Berührung seines Armes unangenehm. Vom schwächlichen Kör-
per seines Chefs ging ein feindlicher Magnetstrom aus, der ihn abstieß. Er hätte es
nicht in Worte fassen können, aber während Kazprin neben ihm schritt, Arm in Arm
mit ihm – da empfand Eldad die betonte Vertraulichkeit des doppelt so alten Arbei-
terführers befremdend und berechnend. Das von Klugheit funkelnde Gesicht seines
Vorgesetzten, das jeder Größe und jeder Sammlung entbehrte, erschien ihm als Verkör-
perung des kleinen, egoistischen ›Nurverstandes‹, der pfiffigen Schlauheit, der Schwäche.
Mit diesem Mann sollte er zusammenarbeiten.
Im Amtszimmer Kazprins war es kühl ; das Fenster ging nach Norden, die Mittags-
hitze machte sich hier wenig fühlbar. Kazprin setzte sich hinter den Schreibtisch. Er
nahm seine Papiere aus der Mappe und stapelte sie mechanisch vor sich auf, wie um ein
Minderwertigkeitsgefühl auszugleichen, indem er an der Gewichtigkeit der Akten seine
eigene Gewichtigkeit ermaß.
Dann wandte er sich zu Eldad, rasch sprechend, sich übersprudelnd, wie es seine
Art war : »Sie werden hier arbeiten, bis wir ein größeres Büro bekommen. Ich habe
es schon angefordert. Lassen Sie sich morgen vom Materialverwalter einen Tisch und
zwei Sessel geben. Stellen Sie sich sofort dem Mister Deber vor. Können Sie Maschin-
schreiben ?«
Eldad war überrascht. Er war als Sekretär angestellt worden, ohne dass sein Chef
wusste, ob er Maschinschreiben könne ? »Natürlich«, sagte er. »Das ist gar nicht natür-
lich«, schnappte Kazprin, der für einen Augenblick seine freundliche Miene fallen ließ.
»Für Schreibarbeiten haben wir Stenotypistinnen. Von meinem Sekretär verlange ich
nicht, dass er selbst an der Maschine sitzt.«
Er ärgerte sich ; er hatte dem jungen Burschen klar machen wollen, wie sehr er auf
Gnade und Ungnade seinem Schutz ausgeliefert war, und der erste Versuch war miss-
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Wolfgang von Weisl
Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
Erlöser - Der Anfang der Wandlung Israels
- Titel
- Wolfgang von Weisl
- Untertitel
- Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
- Herausgeber
- Dietmar Goltschnigg
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21056-6
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 362
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 7
- Abkürzungen und Zitierweise 11
- A. Kontexte, Aspekte, Kommentare 13
- Erlöser 13
- Einbürgerung Wolfgang von Weisls in British Palestine 22
- Arnold Zweig: De Vriendt kehrt heim … 23
- Der Anfang der Wandlung Israels 28
- B. Wolfgang von Weisl 51
- Erlöser. Ein ernstes Spiel von letzten Dingen 51
- C. Wolfgang von Weisl 143
- Der Anfang der Wandlung Israels. Roman 143
- D. Anhang 335
- 1. Zeittafel 335
- 2. Biographische Daten 341
- 3. Sachen, Begriffe, Orte, Glossar 346
- 4. Bibliographie 353
- 5. Personenregister 355