Seite - 198 - in Wolfgang von Weisl - Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
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198 C. Wolfgang von Weisl
Zeitung und wartete. Er hatte nie an die »paar Minuten« Warten geglaubt, die Eldad in
Aussicht gestellt hatte. Er kannte die Zionistischen Büros.
»Also ?«, fragte er, von der Zeitung aufsehend. »Also ?« Eldad verstand den Sinn
der erwartungsvollen Miene. »Zehn Pfund«, antwortete er. »Zehn Pfund !«, pfiff Har-
zwi durch die Zähne, stand auf, reckte sich und schüttelte den Kopf. »Beamter ! Zehn
Pfund ! Ich bin gelernter Arbeiter, verdiene mehr als andere und komme auf knapp sie-
ben Pfund mit einem halben. Euch geht es gut in den Büros ! Beamter !« Er gab dem
Kameraden den Koffer, steckte seine Fäuste in die Taschen und ging neben Eldad her,
ihm den Weg in sein neues Heim weisend, nach Ohel Mosheh.
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Ohel Mosheh das heißt poetisch zwar »Zelt des Moses«, war aber in Wirklichkeit
kein Zelt, sondern ein steinernes Rechteck von einem halben Hundert kleiner
Häuschen spaniolischer Juden am Südrand der Stadt, dort wo die Straße nach Hebron
in kühner Windung vom Berg Zion niedersteigt, am Teich Salomons entlang huscht
und dann wieder in die Höhe klettert, zu dem Hügel, auf dem einst das Haus des Ho-
hepriesters Kaiphas gestanden haben soll.73
Rechts und links sah Eldad, auf seinem Weg zum Heim seines Kameraden wan-
dernd, nur Geröll und Dorngestrüpp zwischen grauer, trockener Erde, sobald er auf den
Feldpfad abbog, der vom großen, mohammedanischen Friedhof neben der Hauptstraße
abzweigte. Verwitterte, dunkelbraune Felsquadern hoben ihre von zahllosen Regengüs-
sen durchlöcherten scharfen Kanten aus dem mageren Humus neben dicken Wurzeln
dunkelblättriger, knorriger Ölbäume. Stachelige Wüstenpflanzen überwucherten da und
dort den dürren Boden mit widerlichem Unkraut.
Weit im Süden leuchteten saubere rote Marseiller Ziegel74 von den Dächern der
protestantischen Deutschen Kolonie75 aus wohltuend dunklem Baumgrün. Vom Nor-
73 Anm. WvWs : »Heute [1934], da wir diese Geschichte erzählen, ist der Weg von den Häusern der
Jaffastraße nach Ohel Mosheh durch eine Unzahl moderner, hochstockiger Bauten versperrt. Das
neue Geschäftsviertel der Juden, der ›Merkaz‹, breitet sich dort aus, Hotels und Missionsgebäude,
die Büros internationaler Fluglinien. Die Buden von armenischen Kuriositätenhändlern täuschen
ein Stadtleben vor, dort, wo vor 18 Jahren, im Sommer 1920, nur ein holpriger, mit Felsbrocken
übersäter jämmerlicher Karrenweg durch Disteln und Dornen führte, an schlecht gepflegten Ölhai-
nen vorbei.«
74 Marseiller Ziegel : aus Ton gepresster, mediterraner Dachziegel in meist rötlicher Farbe.
75 Deutsche Kolonie : von Mitgliedern der Tempelgesellschaft (Mitte des 19. Jh.s in Württemberg
entstandene pietistische Religionsgemeinde) zwischen 1872 und 1910 südwestlich der Jerusalemer
Altstadt angelegte, heute unter Denkmalschutz stehende, ursprünglich landwirtschaftliche Siedlung.
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Wolfgang von Weisl
Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
Erlöser - Der Anfang der Wandlung Israels
- Titel
- Wolfgang von Weisl
- Untertitel
- Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
- Herausgeber
- Dietmar Goltschnigg
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21056-6
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 362
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 7
- Abkürzungen und Zitierweise 11
- A. Kontexte, Aspekte, Kommentare 13
- Erlöser 13
- Einbürgerung Wolfgang von Weisls in British Palestine 22
- Arnold Zweig: De Vriendt kehrt heim … 23
- Der Anfang der Wandlung Israels 28
- B. Wolfgang von Weisl 51
- Erlöser. Ein ernstes Spiel von letzten Dingen 51
- C. Wolfgang von Weisl 143
- Der Anfang der Wandlung Israels. Roman 143
- D. Anhang 335
- 1. Zeittafel 335
- 2. Biographische Daten 341
- 3. Sachen, Begriffe, Orte, Glossar 346
- 4. Bibliographie 353
- 5. Personenregister 355