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Der Anfang der Wandlung Israels 203
Die Spaniolin errötete langsam. Purpur lief von ihrer Stirn über den Hals bis in die
Haut ihrer Arme, die nackt unter den dünnen, kurzen Ärmeln der weißen Bluse heller
leuchteten als der Batist. Langsam löste sie ihre Hand aus der Eldads. Sie sah ihn an,
wie kurz vorher er sie angeblickt hatte
– mit weit offenen, feucht schimmernden Augen.
Das Rot ihrer Stirne wurde immer tiefer. Dann, auf einmal, wandte sie sich ab und ging
wortlos aus dem Zimmer.
Harzwi war gekränkt. Nie hatte er gewagt, ein vertrauliches Wort an Hanna zu rich-
ten, die für ihn wie ein Wesen aus einer anderen Welt war, und Eldad hatte sie bei der
ersten Begegnung so plump angeredet, wie man mit einem kleinen Ladenmädchen aus
der Jaffastraße spricht, bei einem Sparziergang am Sabbatnachmittag. »Du hast sie be-
leidigt«, warf er Eldad vor. »Wie konntest du nur ? Sie ist sehr fein erzogen. Kann Eng-
lisch. Sie ist Sekretärin im Gesundheitsamt der Regierung und verdient 15 Pfund im
Monat. Mit so einem Mädchen darfst du nicht so umgehen !«
Eldad war, als erwache er aus einem Traum. Er strich sich die Haare aus der Stirn,
sah Harzwi an und murmelte : »Zeige mir unser Zimmer. Mir gefällt das Haus.«
Er war beim Auspacken seines Koffers, als die alte Hausfrau in das Zimmer kam, um
den neuen Mieter zu sehen. Mit klugen Augen, die klein und scharf aus entzündeten,
hängenden Lidern blickten, musterte sie den jungen Mann. »Du wirst dich hier wohl-
fühlen«, versicherte sie in altmodischem Hebräisch und strich ihm mütterlich über den
Ärmel seines gestickten Hemdes. »Es ist bei uns rein, reiner als bei den aschkenasischen
Juden und kühl. Wir haben keine Moskitos hier, und du brauchst kein Netz über dem
Bett. Aber eines verlange ich : Am Sabbat darfst du in meinem Haus nicht rauchen, und
am Sabbat darfst du dich nicht rasieren. Ich bin die Witwe von einem Rabbi ! Vom
Chacham Menachem Moscheh Asriel, und ich will in meinem Hause den Sabbat ge-
ehrt haben.«
Eldad blickte überrascht nach Harzwi, dem »herrschaftslosen Anarchisten«, der in
einem Hause wohnte, wo man am Samstag nicht rauchen durfte. Harzwi tat, als höre
er nicht hin, und holte Teller, Messer und Gabeln aus einem Wandschrank, der in einer
Mauernische eingebaut war.
Eldad wollte der alten Frau scharf antworten und wollte sagen, nicht deshalb sei er
nach Palästina gekommen, um sich dem Diktat alter Weiber und alter Gesetze zu un-
terwerfen – aber er schwieg. Er erinnerte sich an Hanna und verstand, warum Harzwi
sich gefügt hatte. Lächelnd gab er nach : »Ja, Geweret Asriel, Ihr mögt ruhig sein. Ich
werde am Sabbat nicht rauchen und mich nicht rasieren.«
Die Alte nickte, zufrieden und zugleich etwas bekümmert : »Ich weiß, was du dir jetzt
denkst. Dass ich alt bin und die neue Zeit nicht mehr verstehe. Die Menschen, die her-
kommen, die unser Land bauen wollen und die zugleich mit jedem Atemzug und jedem
Wort Gott lästern, der uns dieses Land geschenkt hat. Aber ich weiß eines : Ohne Gott
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Wolfgang von Weisl
Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
Erlöser - Der Anfang der Wandlung Israels
- Titel
- Wolfgang von Weisl
- Untertitel
- Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
- Herausgeber
- Dietmar Goltschnigg
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21056-6
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 362
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 7
- Abkürzungen und Zitierweise 11
- A. Kontexte, Aspekte, Kommentare 13
- Erlöser 13
- Einbürgerung Wolfgang von Weisls in British Palestine 22
- Arnold Zweig: De Vriendt kehrt heim … 23
- Der Anfang der Wandlung Israels 28
- B. Wolfgang von Weisl 51
- Erlöser. Ein ernstes Spiel von letzten Dingen 51
- C. Wolfgang von Weisl 143
- Der Anfang der Wandlung Israels. Roman 143
- D. Anhang 335
- 1. Zeittafel 335
- 2. Biographische Daten 341
- 3. Sachen, Begriffe, Orte, Glossar 346
- 4. Bibliographie 353
- 5. Personenregister 355