Seite - 210 - in Wolfgang von Weisl - Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
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210 C. Wolfgang von Weisl
mit den jungen Offizieren und Beamten getanzt oder Tennis gespielt. Und jetzt – ge-
wissermaßen unter der Patronanz ihres Chefs
– besonders gern. Aber sie wusste, dass es
keinen Sinn für sie hatte, in der britischen Gesellschaft zu verkehren.
Heiraten wollte sie doch keinen Engländer, und die jungen Juden Palästinas ziehen
sich von Mädchen zurück, die man öfters in Gesellschaft von Briten sieht. »Wenn wir
dem Mädchen nicht gut genug sind …«, ist der unausgesprochene Gedanke dieses still-
schweigenden Boykotts, der allerdings die Beziehungen zwischen den uniformierten
oder nichtuniformierten Vertretern der englischen Regierungsmacht und der jüdischen
Bevölkerung des Landes noch gespannter machte, als nötig gewesen wäre. Die jungen
Engländer langweilten sich sträflich im Heiligen Land und machten dafür die Juden
verantwortlich. Andere Völker schickten ihre schönen Frauen als politische Vorhut in
den Kampf. Im Salon, bei einer Tasse Tee oder im Tanzsaal werden Siege erfochten, die
kein Diplomat hätte erringen können. Aber die Juden Palästinas haben dafür kein Ver-
ständnis … obwohl die Perserkönigin Esther eine Jüdin gewesen ist.90
* * *
Vor der Tür des Obersten wartete Dr.
Gutkowski auf das junge Mädchen. Er war nicht
ganz sicher, ob sie wirklich in sein Büro kommen würde – und im Übrigen hatte er
nicht gerade viel zu arbeiten. Die Kolonialengländer mögen manche schlechte Eigen-
schaft haben, aber eine gute besitzen sie sicherlich : Ihre Beamten überarbeiten sich
nicht, und sie lassen auch die Natives, die »eingeborenen« Beamten, leben.91 Von drin-
genden Akten hegt der Brite die richtige Vorstellung, dass neun unter zehn sich von
selbst erledigen, wenn sie nur lange genug liegen bleiben, die weniger dringenden aber
können natürlich nicht vorgenommen werden, ehe die andern bearbeitet sind.
So herrschte in den Regierungsbüros Jerusalems ein ganz gemütliches Leben. Am
Sonntag waren sie geschlossen. Am Samstag kamen die Juden nicht, am Freitag blieben
die Mohammedaner zu Haus
– bei solchem Arbeitsfeuer konnte Dr.
Gutkowski es sich
wirklich leisten, eine Viertelstunde auf dem Gang vor dem Zimmer seines Chefs zu pa-
trouillieren, um auf ein hübsches Mädchen zu warten. Die Ausrottung der Malaria oder
der Tollwut oder die Einführung der Blatternimpfung würden eben eine Viertelstunde
später beendet sein.
Als Hanna den Colonel verließ, begleitete er sie daher wieder zunächst bis zu ihrem
Zimmer und wartete dort. Hanna ordnete die Briefe, reichte einen nach dem anderen
ihrer Kollegin, einer jungen stillen Armenierin mit blassgelber Haut und schwermüti-
90 Perserkönigin Esther (Anm. 150).
91 Anm. WvWs : »Als Native gilt in Palästina natürlich jeder Jude, und wenn er auch in Berlin oder
New York geboren ist.«
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Wolfgang von Weisl
Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
Erlöser - Der Anfang der Wandlung Israels
- Titel
- Wolfgang von Weisl
- Untertitel
- Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
- Herausgeber
- Dietmar Goltschnigg
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21056-6
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 362
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 7
- Abkürzungen und Zitierweise 11
- A. Kontexte, Aspekte, Kommentare 13
- Erlöser 13
- Einbürgerung Wolfgang von Weisls in British Palestine 22
- Arnold Zweig: De Vriendt kehrt heim … 23
- Der Anfang der Wandlung Israels 28
- B. Wolfgang von Weisl 51
- Erlöser. Ein ernstes Spiel von letzten Dingen 51
- C. Wolfgang von Weisl 143
- Der Anfang der Wandlung Israels. Roman 143
- D. Anhang 335
- 1. Zeittafel 335
- 2. Biographische Daten 341
- 3. Sachen, Begriffe, Orte, Glossar 346
- 4. Bibliographie 353
- 5. Personenregister 355