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Der Anfang der Wandlung Israels 211
gen, großen, schwarzen Augen, die noch immer ihre von Djemal Pascha erschlagenen
Eltern und Brüder zu beweinen schienen.
Gutkowski blieb in der Tür lehnen und sah Hanna bei ihrer Arbeit mit den bewun-
dernden Augen eines treuen Hundes an, der jeder Bewegung seiner angebeteten Herrin
folgt. »Wie verschieden von allen Mädchen hier sind Sie, Hanna«, sagte er auf Hebrä-
isch, das die Armenierin nicht verstand. »Wenn Sie einen Brief Ihrer Kollegin über den
Tisch hinüberschieben, ist es, als gäben Sie ihr eine Blume oder irgendein Geschenk,
das wert ist, zart behandelt zu werden. Wenn sie aber das Papier nimmt, dann fasst sie
es wie ein Gerät an, lieblos. Ich glaube, Miss Asriel, Sie müssen gut lieben können. Ich
meine«, verbesserte er rasch, »es muss schön sein, von Ihnen geliebt zu werden.«
Hanna lächelte ein wenig. Sie verglich den fast dreißigjährigen Arzt mit dem um so
viel jüngeren Eldad, wie sie seit einiger Zeit überhaupt jeden Mann an Eldad maß. Sie
wusste, Eldad würde nie so sein wie dieser Doktor. Nie würde er ihr erzählen, was an-
dere Menschen über sie denken oder sprechen. Und nie würde er verlegen werden und
stottern. Gutkowski erschien ihr trotz seiner akademischen Würde, vor der sie – wie
alle spanischen Juden – große Achtung hatte, wie ein unreifer Schuljunge, Eldad aber
wie ein Mann, der sein Schicksal in der eigenen Hand hält. Sie hatte Mitleid mit Gut-
kowski, von dem sie erriet, dass er sie liebte. Sie wollte ihm aus der Verlegenheit helfen :
»Was also hat der Sportklub damit zu tun, dass man über mich Witze macht ?«
Gutkowski widerrief : »Man macht keine Witze, Gott behüte ! Nur über den jungen
Mann, der Sie immer begleitet, spricht man, und dass Sie sich von ihm begleiten lassen.
Ich wollte Sie warnen, Miss Asriel …« Er sah sie unglücklich an, da er aufsteigenden
Zorn in ihren Augen las.
»Warnen – wovor warnen, Doktor ?« Sie stand auf und machte sich zum Gehen be-
reit. »Wovor warnen ? Glauben Sie, dass mich kümmert, was die Herren von mir den-
ken ? Der Colonel selbst hat mir soeben eine ähnliche Bemerkung gemacht wie Sie, und
ich habe ihm geantwortet, was ich auch Ihnen jetzt sage : Ein Gentleman kümmert sich
nicht um das, was jemand anderer tut. Und Sie, Doktor, legen doch großen Wert darauf,
ein Gentleman zu sein. Sie verehren ja die Engländer so sehr, dass Sie sogar behaupten,
Ihnen schmecke der Whisky.«
Gutkowski war bis in die Lippen blass geworden. Wenn er die Engländer in Tracht
und Sprechweise kopierte, wenn er Pfeife rauchte statt der gewohnten Zigarette, wenn
er sogar versuchte, sich an Whisky zu gewöhnen, obwohl er ihn verabscheute, dann lei-
tete ihn nur zum geringsten Teil der Wunsch, sich beliebt zu machen und seine Stellung
zu behalten, wenn Colonel Antimon rechts und links weniger schmiegsame jüdische
Ärzte entließ. Mehr trieb ihn seine aufrichtige Bewunderung der angelsächsischen Ei-
genschaften. Die Briten waren für ihn Vertreter einer besseren, vornehmeren Mensch-
lichkeit als die Angehörigen irgendeines anderen Volkes, einer anderen Kultur. Ihre
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Wolfgang von Weisl
Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
Erlöser - Der Anfang der Wandlung Israels
- Titel
- Wolfgang von Weisl
- Untertitel
- Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
- Herausgeber
- Dietmar Goltschnigg
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21056-6
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 362
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 7
- Abkürzungen und Zitierweise 11
- A. Kontexte, Aspekte, Kommentare 13
- Erlöser 13
- Einbürgerung Wolfgang von Weisls in British Palestine 22
- Arnold Zweig: De Vriendt kehrt heim … 23
- Der Anfang der Wandlung Israels 28
- B. Wolfgang von Weisl 51
- Erlöser. Ein ernstes Spiel von letzten Dingen 51
- C. Wolfgang von Weisl 143
- Der Anfang der Wandlung Israels. Roman 143
- D. Anhang 335
- 1. Zeittafel 335
- 2. Biographische Daten 341
- 3. Sachen, Begriffe, Orte, Glossar 346
- 4. Bibliographie 353
- 5. Personenregister 355