Seite - 228 - in Wolfgang von Weisl - Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
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228 C. Wolfgang von Weisl
machte ihn schwach. Er wäre niedergesunken, schien ihm, hätte er nicht rasch den Arm
um das Mädchen geschlungen, sich an ihr festzuhalten.
Minutenlang blieben sie unbeweglich. Seine Hand über Hannas Schulter, deuchte
ihm, als seien ihre beiden Körper eins geworden und eins zugleich auch mit dem Fel-
sen, auf dem sie saßen. Ihm war, als hätten sie beide nur mehr einen Atem, als fühle er
in seiner Achselhöhle, die ihren Arm einschloss, in seinen Fingern, die auf ihrer Brust
lagen, in seinem Ohr ihren und nicht seinen Puls, als fühle er mit seinem Fuß, seinem
Knie den lebenden Herzschlag der Erde, des Felsens, der Baumwurzel, gegen die sein
Bein sich presste. Ganz eins ist er mit ihr. Eins mit dem Land. Dem Baum. Der Nacht.
Sein Herz wird sehr weit in seiner Brust, die vor Glück und Sehnsucht zu zerspringen
droht. Der Atem will stocken. »Noch einen Augenblick länger dieses Nichtseins, dieses
Aufhörens des Ich, und ich muss vergehen !«, schreit etwas in ihm. Mit einer wilden, ge-
waltigen Bewegung reißt Eldad mit der Linken den Kopf Hannas an sich, packt sie in
eisernen Händen und lässt seine Lippen auf ihren Mund niederstürzen und sich an ihm
festsaugen, als wollten sie nie mehr von ihm lassen. Nie mehr …
III. Teil
1
Am nächsten Morgen klopfte Hanna auftragsgemäß an die Türe des
Pasteur-In-stituts.
Dr. Hamber schob neugierig seine goldene Brille über der schmalen, tata-
rischen Nase zurecht und musterte verwundert das Mädchen, das ihm einen Brief des
Colonels Antimon überbrachte. Sein Blick fiel dabei durch das Fenster des Arbeits-
zimmers auf Eldad, der vor dem Pasteur-Institut wartete, und Hamber vergaß Brief
und Mädchen. »Wer ist das, der mit Ihnen gekommen ist, Geweret ? Ist das nicht Herr
Schu’al ?« Hanna nickte leicht errötend. »Schu’al von Metulla ?«, wiederholte der Arzt,
sprang von seinem Armsessel auf und lief mit flatterndem Ärztemantel über den breiten,
marmorgepflasterten Gang des Spitals zum Tor auf die Straße, packte Eldad beim Arm
und schleppte ihn in sein Zimmer.
»Herr Schu’al ! Nein, diese Freude, dass ich dich hier sehe, Herr Schu’al ! Wie ich
mich freue, einen Gefährten Trumpeldors, einen Helden und ein Beispiel unserer Zeit
zu sehen, manhig dorenu, Führer unseres Geschlechts !«, sprudelte der kleine Doktor
und schüttelte mit beiden Händen unaufhörlich die Rechte des jungen Mannes. »Du
musst mein Institut anschauen, du musst sehen, was wir hier machen ! Es ist eine Ehre
für mich, dass ich dich hier begrüßen kann«, wiederholte er wieder und wieder, neigte
den Kopf mit den schütteren braunen Haaren zur Seite und blickte Eldad verliebt an.
Dann sah er hinüber zu Hanna und schmunzelte mit der hemmungslosen Vertraulich-
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Wolfgang von Weisl
Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
Erlöser - Der Anfang der Wandlung Israels
- Titel
- Wolfgang von Weisl
- Untertitel
- Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
- Herausgeber
- Dietmar Goltschnigg
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21056-6
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 362
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 7
- Abkürzungen und Zitierweise 11
- A. Kontexte, Aspekte, Kommentare 13
- Erlöser 13
- Einbürgerung Wolfgang von Weisls in British Palestine 22
- Arnold Zweig: De Vriendt kehrt heim … 23
- Der Anfang der Wandlung Israels 28
- B. Wolfgang von Weisl 51
- Erlöser. Ein ernstes Spiel von letzten Dingen 51
- C. Wolfgang von Weisl 143
- Der Anfang der Wandlung Israels. Roman 143
- D. Anhang 335
- 1. Zeittafel 335
- 2. Biographische Daten 341
- 3. Sachen, Begriffe, Orte, Glossar 346
- 4. Bibliographie 353
- 5. Personenregister 355