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Der Anfang der Wandlung Israels 229
keit, die unter den Vornehmen der Juden stets so unendlich väterlich wirkt, bei allen
anderen hingegen empörend und taktlos. »Du hast die Dame herbegleitet ? Ich habe
dich kommen sehen. Ein schönes Mädchen hast du, ein sehr schönes Mädchen ! Ihr
solltet heiraten, ein schönes, neues Geschlecht schaffen, wisst ihr ? Zum Kampfe für
unser Land …« Er brach ab, würde düster, schwieg. Er selbst war kinderlos, und das
schmerzte ihn, der Kinder über alles liebte.
Langsam setzte er sich hinter den mit Broschüren, Papieren und Eprouvetten-Stän-
dern übersäten Schreibtisch und sah über die Brille hinweg Hanna prüfend an, die tat,
als hätte sie nichts gehört. Dann nahm er den Brief des Gesundheitsdepartments und
betrachtete ihn misstrauisch, ehe er den Umschlag sorgfältig aufschnitt. Las, warf ihn
auf den Tisch mit einem derben Fluch und sprang auf : »Dieser Ignorant ! Der Kerl
will mein Institut stehlen ! Da, Herr Schu’al
– lies den Brief, den mir Colonel Antimon
schreibt ; siehst du, so kämpfen die Engländer gegen uns ! Ich soll das Pasteur-Institut
hergeben, es in ein Regierungsinstitut umwandeln lassen, nachdem es seit 15 Jahren
besteht, nachdem wir Tausende von Arabern vor der Tollwut gerettet haben ! Heute
weiß jeder Fellache, der gebissen wird, dass er zum Juden gehen muss, um behandelt
zu werden – weiß, dass jüdische Ärzte dieses Institut dem Land geschenkt haben, dass
jüdische Ärzte hier gesessen sind und die Araber ganz unentgeltlich behandelt haben,
lange ehe die Engländer nach Palästina kamen. Und jetzt will die Regierung uns das
wegnehmen, will den Fellachen und Beduinen, die herkommen, das englische Wappen
vor die Nase hängen, statt der hebräischen Aufschrift ! Und ich soll meine Hand zu die-
sem Spiel hergeben ! Niemals !«
Hanna hatte Mitgefühl mit dem empörten Arzt, der sein Lebenswerk verteidigte.
Aber sie kannte die Macht des Apparates, der hinter Colonel Antimon stand, und
kannte noch besser seine rücksichtslose Energie im Kampf um die Vormachtstellung
der Regierung. Deshalb warnte sie : »Colonel Antimon sagte, ich möge seine besten
Grüße ausrichten und Ihnen noch mündlich sagen, er werde alles tun, um Ihre Interes-
sen zu schützen, wenn Sie das Institut übergeben.«
»Meine Interessen ! Meine Interessen !«, fauchte Doktor Hamber und riss wütend an
seinem kleinen, zerzausten, braunen Spitzbart. »Der Engländer hält mich für einen Ara-
ber ! Er wagt, mir Geld anzubieten ! Denkt, er kann das Institut kaufen ! Da schreibt er, er
sei bereit, mich mit langjährigem Kontrakt zum Direktor zu ernennen, mit gutem Gehalt
und dem Recht, mir einen Assistenten zu wählen !« Er zerfetzte den Brief und warf ihn
in den Papierkorb. »Ich pfeife auf sein Geld ! Verstehen Sie ! Ich pfeife auf den Assisten-
ten, Geweret. Richten Sie ihm das aus ! Lieber verhungere ich, aber das Institut übergebe
ich nur der kommenden Hebräischen Universität.114 Für sie erhalte ich es
– nur für sie.«
114 Hebräische Universität in Jerusalem : eröffnet am 1. April 1925 im Beisein WvWs als »erste west-
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Wolfgang von Weisl
Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
Erlöser - Der Anfang der Wandlung Israels
- Titel
- Wolfgang von Weisl
- Untertitel
- Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
- Herausgeber
- Dietmar Goltschnigg
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21056-6
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 362
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 7
- Abkürzungen und Zitierweise 11
- A. Kontexte, Aspekte, Kommentare 13
- Erlöser 13
- Einbürgerung Wolfgang von Weisls in British Palestine 22
- Arnold Zweig: De Vriendt kehrt heim … 23
- Der Anfang der Wandlung Israels 28
- B. Wolfgang von Weisl 51
- Erlöser. Ein ernstes Spiel von letzten Dingen 51
- C. Wolfgang von Weisl 143
- Der Anfang der Wandlung Israels. Roman 143
- D. Anhang 335
- 1. Zeittafel 335
- 2. Biographische Daten 341
- 3. Sachen, Begriffe, Orte, Glossar 346
- 4. Bibliographie 353
- 5. Personenregister 355